Leitsatz (amtlich)
1) Auch der Einsatz von Overholt-Klemmen kann zur Stillung einer venösen Blutung gerechtfertigt sein, um eine lebensbedrohliche Situation zu vermeiden.
2) Eine Varizenoperation kann auch ambulant durchgeführt werden.
3) Das ambulante Operieren mit einem Gefäßchirurgen, einem Anästhesisten und einer Hilfskraft unterschreitet den medizinischen (personellen Austattungs-) Standard nicht.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 07.04.2011; Aktenzeichen 6 O 636/04) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Zivilkammer 6 des LG Berlin vom 7.4.2011 - 6 O 636/04 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Nebenintervention; diese tragen die Streithelfer selbst.
3. Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes i.H.v. mindestens 20.000 EUR, Ersatz des Verdienstausfalls bis Dezember 2004 i.H.v. 24.952,85 EUR, des Haushaltsführungsschadens i.H.v. 42.000 EUR, des Rentenschadens i.H.v. 10.386,80 EUR sowie die Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich sämtlicher weiterer zukünftiger materieller und immaterieller Schäden wegen der Folgen einer am 31.1.2001 durchgeführten ambulanten Varizenoperation.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens erster Instanz, der dort gestellten Anträge und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das LG hat durch am 7.4.2011 verkündetes Urteil die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Die Klägerin macht mit der rechtzeitigen Berufung geltend, dass das LG unter Außerachtlassung der Gutachten des Prof. B.und des Dr. H.zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass der Einsatz von Overholt-Klemmen zur Blutstillung gerechtfertigt gewesen sei. Gegen die Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. L.spreche die Beurteilung des Sachverständigen Prof. B.in seinem Gutachten vom 20.1.2003 (Seite 5), dass venöse Blutungen nur durch manuelle Kompression gestoppt werden dürften. Auch der Privatsachverständige Dr. H.sei der Auffassung, dass die Anwendung einer Overholt-Klemme, die zwar stumpf sei, aber eine enorme Druckhärte auf das Gefäß ausübe, zum Stillen einer Venenverletzung, deren Ausmaß noch unbekannt sei, absolut ungeeignet sei und sich deshalb verbiete. Sowohl der Sachverständige Prof. B.als auch Dr. H.würden die Ursache der Thrombose in der Verletzung der Arterie durch die Verwendung der Overholt-Klemme sehen. Dies ergebe sich aus der Beschreibung im Operationsbericht des Dr. H., wonach das Gefäß spastisch verengt sei und sich nach Längsöffnung ein frischer thrombotischer Verschluss und eine Intimaverletzung (Verletzung der Gefäßinnenwand) dargestellt hätten. Die sanduhrförmige Einengung der Arterie stelle eine Klemmmarke dar.
Soweit Prof. L.es für vertretbar gehalten habe, dass der Beklagte die Operation ambulant mit einem Anästhesisten und einer Hilfskraft durchgeführt habe, sei dies unzutreffend. Dr. T.habe in seinem Gutachten vom 4.3.2002 (Seite 6) ausgeführt, dass die Hinzuziehung eines zweiten Gefäßchirurgen angebracht gewesen wäre, zumal sich der Zustand der Klägerin während der Blutstillung durch den bereits eingetretenen Blutverlust als beginnend instabil dargestellt habe und den ungeteilten Einsatz des narkoseführenden Anästhesisten verlangt haben dürfte. Sowohl Dr. T.als auch Prof. B.hätten die sächliche und personelle Ausstattung der Praxis des Beklagten für die Beherrschung einer solch massiven Komplikation als nicht ausreichend angesehen.
Das LG sei auch unzutreffend davon ausgegangen, dass sie ausreichend über die Risiken der Operation aufgeklärt worden sei. Die Angaben der persönlich angehörten Parteien würden sich widersprechen, ohne dass ersichtlich sei, dass eine Partei glaubwürdiger sei als die andere. Der Zeuge S.Ü.habe die Bögen zur Patientenaufklärung nicht wiedererkannt. Es sei auch erforderlich gewesen, die bereits erstinstanzlich benannte Zeugin D.G.dazu zu hören, dass sie am 31.1.2001 zum ersten Mal die Unterlagen "dokumentierte Patientenaufklärung" zwecks Durchsicht und Unterschrift erhalten habe. Die Vorlage der Bögen wäre überflüssig gewesen, wenn sie diese schon vorher unterzeichnet hätte.
Sie sei auch nicht darüber aufgeklärt worden, dass ein gesteigertes Risiko bei Komplikationen wegen der dünnen personellen und sachlichen Ausstattung der Praxis vorgelegen habe.
Die Streithelfer beanstanden die Annahme des LG, der Beklagte habe die Vena saphena magna ordnungsgemäß und ausreichend präpariert. Von einer ordnungsgemäßen Präparation der Crosse könne deshalb ...