Leitsatz (amtlich)

1. Der Vollzug der Untersuchungshaft mit täglichen Einschlusszeiten von regelmäßig 23 Stunden in einem Einzelhaftraum kann trotz dessen angemessner Größe menschenunwürdig und damit amtspflichtwidrig i.S.d. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB sein.

2. Der Vollzug der Untersuchungshaft unter den genannten Bedingungen war jedenfalls bis zum Ende des Jahres 2012 im Land Berlin nicht schuldhaft, weil es vertretbar war, dass die Bediensteten des beklagten Landes diese Bedingungen bis zu dem Beschluss des BVerfG v. 17.10.2012 - 2 BvR 736/11 - und dem im vorliegenden Verfahren in Anknüpfung an das Urteil des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin vom 3.11.2009 - VerfGH 184/07 - ergangenen VerfGVeergangenen Prozesskostenhilfebeschluss des Senats vom 14.12.2012 - 9 W 71/12 - nicht als menschenunwürdig angesehen haben.

3. Die Inhaftierung unter menschenunwürdigen Haftbedingungen stellt keine einheitliche Dauerhandlung dar, bei der die Verjährung erst mit deren Beendigung beginnt. Deswegen entstehen Ansprüche wegen des amtspflichtwidrig menschenunwürdigen Vollzugs von Haft i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit dem Vollzug der Haft taggenau, so dass die einschlägige dreijährige Verjährungsfrist aus § 195 BGB regelmäßig mit dem Ende des Kalenderjahrs der vollzogenen Haft zu laufen beginnt.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 07.08.2013; Aktenzeichen 86 O 204/11)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des LG Berlin vom 7.8.2013 - 86 O 204/11 - unter Zurückweisung der Berufung des Klägers dahin abgeändert, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von dem Beklagten Geldentschädigung für immaterielle Nachteile wegen der nach seiner Ansicht menschenunwürdigen Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt M.des Beklagten während seiner etwa zweieinhalb Jahre dauernden Untersuchungshaft.

Im Einzelnen war der Kläger wie folgt inhaftiert:

  • 21.9.2006: Teilanstalt I der Justizvollzugsanstalt M.
  • 22.9.2006 bis 10.11.2006: "Begegnungshafträume" in der Teilanstalt II der Justizvollzugsanstalt M.: Einzelhafträume (Fläche: 6,15 qm bis 8.11.2006, dann 5,83 qm), jeweils verbunden mit einem anderen Einzelhaftraum, bei gemeinsamer Nutzung mit weiterem Inhaftierten, wobei einer der Räume eine gemeinsam zu nutzende Toilette enthielt;
  • 11.11.2006 bis 18.3.2009: Einzelhafträume in der Teilanstalt II der Justizvollzugsanstalt M., Fläche: 7,63 bis 8,04 qm

Der Einschluss in den Hafträumen war wie folgt unterbrochen:

  • eine tägliche Freistunde
  • fünfmal wöchentlich drei Stunden Umschluss (Zusammenschluss mit anderem Mitgefangenen in einem Haftraum)
  • Arbeitstätigkeit in der anstaltseigenen Buchbinderei vom 6.3.2008 bis 18.3.2009
  • Teilnahme an Freizeit- und Sportgruppen, Besuche etc.

Der Kläger macht insgesamt 26.400 EUR Entschädigung wie folgt geltend:

  • 22.9. bis 10.11.2006: 100 EUR je Tag, 4.900 EUR
  • 11.11.2006 bis 18.3.2009: 25 EUR je Tag, 21.500 EUR

Das LG hat der Klage in Höhe eines Teilbetrages von 1.225 EUR für die Zeit der Unterbringung in den "Begegnungshafträumen" bei einem Tagessatz von 25 EUR teilweise stattgegeben; im Übrigen hat es sie abgewiesen. Soweit es Entschädigung gewährt hat, seien 25 EUR, der nach § 7 Abs. 3 StrEG für die Haftentschädigung vorgesehene Betrag, ausreichend. Die von dem Beklagten erhobene Einrede der Verjährung greife nicht durch, weil die Verjährungsfrist erst mit dem Ende seiner Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt M.und Verlegung in die Justizvollzugsanstalt T.zu laufen begonnen habe. Im Übrigen sei die Unterbringung des Klägers nicht menschenunwürdig gewesen, jedenfalls fehle es bei den Bediensteten des Beklagten an dem für eine Haftung erforderlichen Verschulden.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine schon erstinstanzlich geltend gemachte Klageforderung weiter, während der Beklagte mit seiner Berufung die Abweisung der Klage auch insoweit anstrebt, als ihr das LG stattgegeben hat.

Der Kläger beantragt, das Urteil des LG vom 7.8.2013 - 86 O 204/11 - unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten dahin abzuändern, dass der Beklagte verurteilt wird, an ihn weitere 25.175,- Euro nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen und das Urteil des LG dahin abzuändern, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird.

II.1. Die Berufungen beider Parteien sind zulässig, die des Beklagten ist auch begründet (b), während die des Klägers unbegründet ist (...

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