Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen der Gesamtschau zur Beurteilung, ob die Unterbringung in einem Haftraum (hier: Einzelhaftraum von 5,25 m2 Bodenfläche mit räumlich nicht abgetrennter Toilette) gegen die Menschenwürde verstößt, ist (neben konkreten Umständen des Einzelfalles wie der Größe des Haftraums, der Gestaltung des Sanitärbereichs, den täglichen Einschlusszeiten und der Dauer der Unterbringung) auch der Gefahr Beachtung zu schenken, dass der Strafgefangene in Hoffnungslosigkeit verfällt, wenn die Zeit, die unter besonders belastenden Haftbedingungen verbracht werden muss, unabsehbar erscheint.
Ist für den Gefangenen nicht von vornherein klar, wann die Belastungen enden werden, sondern ist die Dauer seines Verbleibs intransparent, sind ihm besonders belastende Haftbedingungen auch nicht kurzfristig zumutbar.
2. Nicht jede Verletzung der Menschenwürde beim Vollzug von Haft erfordert eine Wiedergutmachung durch eine Geldentschädigung. Die Feststellung, dass der Gefangene in seinem Recht auf menschenwürdige Unterbringung aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 6 Satz 1 VvB verletzt worden ist, kann als anderweitige Genugtuungsmöglichkeit für einen nur wenige Tage andauernden Eingriff ausreichen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 23.11.2012; Aktenzeichen 86 O 1/12) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird die Klage unter Abänderung des Urteils des LG Berlin vom 23.11.2012 (86. O. 1/12) abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Gemäß § 313a Abs. 1 i.V.m. § 540 Abs. 2 ZPO wird von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil sowie etwaiger Änderungen oder Ergänzungen abgesehen.
II. Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.
1. Dem Kläger steht weder ein Amtshaftungsanspruch gem. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG (a) noch ein Schadensersatzanspruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK (b) zu.
a) Entgegen der Ansicht des LG ist der von dem Kläger gegen den Beklagten geltend gemachte Entschädigungsanspruch nicht als Amtshaftungsanspruch aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG begründet.
Zwar haben die zuständigen Amtsträger des Beklagten die vom Kläger in der Teilanstalt I der Justizvollzugsanstalt T.verbüsste Haft jedenfalls in der Zeit vom 28.12.2010 bis zum 3.1.2011 unter Verletzung von Amtspflichten i.S.d. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB vollzogen; darüber hinaus fehlt es für den ersten Monat der Unterbringung des Klägers in der Teilanstalt I der Justizvollzugsanstalt T.allerdings an einem menschenunwürdigen und damit amtspflichtwidrigen Vollzug der Haft (aa). Für den sich anschließenden Zeitraum vom 28.1. bis zum 16.3.2011 ist eine Haftung des Beklagten für die Verletzung der Menschenwürde des Klägers durch die Unterbringung in einem ca. 5,3 Quadratmeter großen Einzelhaftraum dagegen gem. § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen (bb). Soweit der Beklagte den Kläger in seinem Recht auf menschenwürdige Unterbringung aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 6 Satz 1 VvB verletzt hat, ist vorliegend jedoch die Zahlung einer Geldentschädigung als Wiedergutmachung für den erlittenen Eingriff nicht erforderlich (cc).
aa) In der Zeit vom 28.12.2010 bis zum 3.1.2011 verletzte der Beklagte den Kläger durch die Unterbringung in einem nur etwa 5,3 Quadratmeter großen Einzelhaftraum in der Teilanstalt I der Justizvollzugsanstalt T.in seinem Recht auf menschenwürdige Unterbringung aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 6 Satz 1 VvB. Darüber hinaus waren die Haftbedingungen dem Kläger im ersten Monat seiner Unterbringung in der Teilanstalt I der Justizvollzugsanstalt T.zumutbar und damit nicht menschenunwürdig.
(1) Ob der Vollzug der Haft als menschenunwürdig und damit amtspflichtwidrig anzusehen ist, ist jeweils nach einer Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Als erhebliche Umstände kommen insbesondere die Anzahl der in einem Haftraum untergebrachten Gefangenen, die Größe der jedem Gefangenen zur Verfügung stehenden Haftraumfläche, die Ausgestaltung der sanitären Anlagen im Haftraum, die Gesamtdauer der Unterbringung sowie die täglichen Einschlusszeiten in Betracht (vgl. BGH, Urt. v. 4.7.2013 - III ZR 342/12 - juris Tz. 6 sowie BVerfG, Kammerbeschluss v. 22.2.2011 - 1 BvR 409/09 - juris Tz. 30).
Dementsprechend ist der Senat in ständiger, vom BGH gebilligter Rechtsprechung (vgl. Urt. v. 21.9.2012 - 9 U 123/11 sowie 9 U 138/12 -; v. 23.10.2012 - 9 U 34/12 -, vgl. hierzu jeweils BGH, Urt. v. 4.7.2013 - III ZR 338/12, III ZR 339/12 sowie III ZR 342/12) und in Übereinstimmung mit dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin (BerlVerfGH, Beschl. v. 3.11.2009 - 184/07 - juris Tz. 28) stets nach einer Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass die Unterbringung von Gefangenen in Einzelhafträumen der Teilanstalt I der Justizvollzugsanstalt T.mit einer Fläche von etwa 5,3 Quadratmetern und nicht gesonderter Toilette bei täglichen Einschlusszeiten zwischen 15 und fast ...