Leitsatz (amtlich)
1. Zur Amtshaftung wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen.
2. Zur Bestimmung der Entschädigungshöhe bietet eine monatliche Betrachtungsweise besser die Möglichkeit, unter Würdigung aller Umstände Bedeutung und Tragweite der Verletzung der Menschenwürde im Einzelfall angemessen zu berücksichtigen und zugleich die gebotene Gleichbehandlung vergleichbarer Fallgestaltungen sicherzustellen.
3. Bei menschenunwürdigen Haftbedingungen, die dem der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin vom 3.11.2009 (VerfGH 184/07) zugrunde liegenden Fall vergleichbar sind, ist regelmäßig eine monatliche Entschädigung von 600 EUR angemessen, wenn keine konkreten Besonderheiten des Einzelfalles gegeben sind, die die Beeinträchtigung als besonders schwer oder aber weniger schwerwiegend erscheinen lassen.
4. Die Inhaftierung unter menschenunwürdigen Haftbedingungen stellt keine einheitliche Dauerhandlung dar, bei der die Verjährung erst mit deren Beendigung beginnt. Deswegen entstehen Ansprüche wegen des amtspflichtwidrig menschenunwürdigen Vollzugs von Haft i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit dem Vollzug der Haft taggenau, so dass die einschlägige dreijährige Verjährungsfrist aus § 195 BGB regelmäßig mit dem Ende des Kalenderjahrs der vollzogenen Haft zu laufen beginnt.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 08.08.2012; Aktenzeichen 86 O 171/11) |
Tenor
Auf die Berufungen beider Parteien wird das Urteil des LG Berlin vom 8.8.2012 (86. O. 171/11) abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.075 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.9.2011 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehenden Berufungen werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung der anderen Partei durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger verlangt Entschädigung wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen für den Zeitraum 31.8.2007 bis 20.12.2010. Der Kläger war während dieser Zeit in verschiedenen Teilanstalten der Justizvollzugsanstalten M.und T.untergebracht.
Das LG hat lediglich für die Haftunterbringung in dem Zeitraum vom 22.10.2009 bis 13.1.2010 in der Teilanstalt I der Justizvollzugsanstalt T.eine Entschädigung zugesprochen.
Beide Parteien haben Berufung eingelegt.
Wegen des Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Der Kläger meint, das LG habe zu Unrecht keine weiter gehende Entschädigung zuerkennt. Es habe angebotene Beweise nicht erhoben und die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Die Höhe der zuerkannten Entschädigung sei zu gering. Ein Anspruch ergebe sich bereits aus Art. 5 Abs. 5 EMRK. Verjährung sei nicht eingetreten. Es gelte vorliegend die Verjährungsfrist aus § 199 Abs. 2 BGB. Zudem habe dem vom LG angenommenen Verjährungsbeginn eine unübersichtliche und zweifelhafte Rechtslage entgegengestanden.
Der Kläger beantragt, das Urteil des LG Berlin vom 8.8.2012 zu 86 O 171/11 aufzuheben soweit der Klageantrag auf Schmerzensgeld i.H.v. 38.400 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit hinsichtlich eines 1.920 EUR überschreitenden Betrages nebst Zinsen abgewiesen worden ist und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger Schmerzensgeld i.H.v. insgesamt 38.400 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen sowie die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt, die Klage unter Aufhebung des am 8.8.2012 verkündeten Urteils des LG Berlin, Geschäftsnummer 86 O 171/11, insgesamt abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Beklagte meint, das LG habe bei der notwendigen Gesamtschau nicht sämtliche vom Beklagten geltend gemachten Gesichtspunkte gewürdigt. Zudem fehle es am Verschulden des Beklagten. Schließlich scheitere ein Anspruch an § 839 Abs. 3 BGB.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Verwertung des Sitzungsprotokolls des KG vom 13.2.2014 - 9 U 101/12 - mit der Aussage des damaligen stellvertretenden Teilanstaltsleiters der Teilanstalt I der Justizvollzugsanstalt T.F.S.sowie des Sitzungsprotokolls des KG vom 11.3.2014 - 9 U 162/13 - mit den Aussagen der seinerzeitigen Teilanstaltsleiterin der Teilanstalt I der Justizvollzugsanstalt T.M.L.und der Vollzugsleiterin der Justizvollzugsanstalt I.L.-S. Wegen des Inhalts der Urkunden wird auf diese Protokolle Bezug genommen.
II. Die zulässigen Berufungen haben jeweils teilweise Erfolg.
1. Die Berufung des Beklagten ist teilweise begründet.
a) Soweit das LG den Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung verurteilt hat, ist die Klage lediglich i.H.v. 300 EUR begründet, denn insoweit steht dem Kläger ...