Leitsatz (amtlich)
Läuft ein Polizeibeamter in Verfolgung eines Verdächtigen über die Fahrbahn bei für ihn rotem Ampellicht und zwingt er dadurch einen Pkw-Fahrer, der nach Umschalten der Ampel gerade angefahren war, zu plötzlichem scharfen Bremsen mit der weiteren Folge, dass ein nachfolgender Pkw-Fahrer auffährt, so kommt eine Haftung des Dienstherrn des Beamten für den Frontschaden des Auffahrenden auch dann in Betracht, wenn das Handeln des Polizisten nach § 35 StVO gerechtfertigt war; dies folgt aus den §§ 59, 60 ASOG Berlin, die für die Fälle der Schädigung infolge rechtmäßiger Maßnahmen der Polizei einen Anspruch auf angemessenen Ausgleich vorsehen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 13.11.2002; Aktenzeichen 24 O 510/01) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 13.11.2002 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des LG Berlin - 24 O 510/01 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Zutreffend ist das LG in dem angefochtenen Urteil davon ausgegangen, dass Schadensersatzansprüche aus § 839 BGB gegen das beklagte Land ausscheiden, weil der Polizeibeamte ..., als er als Fußgänger bei für ihn rotem Ampellicht die Fußgängerfurt der Budapester Straße überquerte in Ausübung der Sonderrechte aus § 35 Abs. 1a StVO handelte, so dass die Rechtswidrigkeit einer etwaigen Amtspflichtverletzung, die hier in dem Rotlichtverstoß liegen könnte, entfällt. Das Gericht folgt insoweit den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils, die durch das Vorbringen in der Berufung nicht entkräftet werden. Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass auch der Umstand, dass der Zeuge ... dazu in der Lage war, sein Fahrzeug rechtzeitig vor dem die Fahrbahn überquerenden Polizeibeamten abzubremsen gegen die Annahme spricht, der als Zeuge vernommene ... habe die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten.
2. Allerdings hat das LG unberücksichtigt gelassen, dass sich ein Anspruch des Klägers auf Entschädigung bei rechtmäßigem Verhalten des Zeugen ... aus den §§ 59, 60 ASOG sowie unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines enteignenden Eingriffes hätte ergeben können. Doch setzen sowohl der Entschädigungsanspruch aus enteignendem Eingriff bei rechtmäßigem Polizeiverhalten als auch der Anspruch aus §§ 59, 60 ASOG, der dem Anspruch aus enteignendem Eingriff im Zweifel als spezialgesetzliche Regelung vorgeht (OLG Hamm v. 7.10.1987 - 11 U 40/87, MDR 1988, 324 = NJW 1988, 1096, für § 45 NRW PolG), voraus, dass durch öffentliches Verwaltungshandeln unmittelbar in den Eigentumsinhalt eingegriffen wird (BGH v. 9.4.1987 - III ZR 3/86, BGHZ 100, 335 [338] = MDR 1987, 822; Staudinger/Seiler, BGB, 2002, Vorbemerkung zu §§ 903 ff. Rz. 39, für den enteignenden Eingriff; Berg/Knape/Kiworr, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht für Berlin, § 59 ASOG Anmerkung D für § 59 ASOG). Der bloße adäquat-kausale Zusammenhang zwischen Verwaltungshandeln und Schaden genügt dafür nicht (BGH v. 9.4.1987 - III ZR 3/86, BGHZ 100, 335 [338] = MDR 1987, 822; Staudinger/Seiler, BGB, 2002, Vorbem. zu §§ 903 ff. Rz. 39). Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Verwaltungshandeln, hier dem Überqueren des Fußgängerüberweges durch den Zeugen ... bei Rot, und dem dem Kläger entstandenen Schaden könnte dann bejaht werden, wenn die Sachverhaltsdarstellung des Klägers zutreffen würde, wonach dieser zunächst hinter dem Fahrzeug des Zeugen ... bei für ihn rotem Ampellicht angehalten hatte, sodann nach dem Umspringen der Ampel auf Grün angefahren war und in dieser Situation auf das plötzliche scharfe Bremsen des Zeugen ... nicht mehr rechtzeitig reagieren konnte. In einem derartigen Fall würde auch ein Fußgänger, dessen Rotlichtverstoß nicht durch die §§ 35, 37 StVO gerechtfertigt ist, einem auffahrenden Kraftfahrer in vollem Umfang haften (KG VM 1993, 27 Nr. 35). Der Kläger hat seine Sachverhaltsdarstellung jedoch nicht beweisen können. Der Zeuge ... konnte keine Angaben dazu machen, ob das Fahrzeug des Klägers vor dem Anfahren an der Ampel unmittelbar hinter seinem, des Zeugen ..., Fahrzeug gestanden hat. Der Zeuge war auch nicht dazu in der Lage, Angaben dazu zu machen, ob der Anstoß des klägerischen Fahrzeugs auf das Heck des BMW des Zeugen ... unmittelbar nach dem Bremsmanöver erfolgte oder ob zwischen Bremsmanöver und Kollision mehrere Sekunden vergangen waren. Der Zeuge ... hatte bei seiner Vernehmung durch das LG bekundet, er schätze, dass das Aufprallgeräusch erst erfolgt sei, als er bereits 10 bis 15 m auf dem gegenüberliegenden Fußweg gewesen sei. Da der Zeuge ... nach seiner glaubhaften Aussage gebremst hat, als der Zeuge ... sich noch auf der Fahrbahn befand, würde dies bedeuten, dass zwischen dem Bremsmanöver des Zeugen ... und dem Aufprall mehrere Sekunden vergangen sind. In diesem Fall würde gegen den Kläger der Beweis des ersten Anscheins dafür sprechen, dass er zu schnell gefahren ist oder es an der erforderlichen Aufmerksamkeit hat fehlen la...