Entscheidungsstichwort (Thema)

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Leitsatz (amtlich)

1. Vorbeugender Rechtsschutz in Form einer Unterlassungsklage nach § 33 Abs. 2 GWB kann bei der Vergabe öffentlicher Verkehrswege für den Betrieb von Leitungen nach § 46 EnWG bereits vor der endgültigen Entscheidung der Kommune über die Konzessionsvergabe gewährt werden, wenn ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Kommune beabsichtigt, die Konzession an einen Mitbewerber zu vergeben.

2. Die Beteiligung eines rechtlich unselbständigen Eigenbetriebs der Kommune an einem solchen Verfahren ist, wie aus § 46 Abs. 6 EnWG folgt, grundsätzlich möglich.

3. Das aus dem materiellen Kartellrecht folgende Neutralitätsgebot verlangt im Falle einer Eigenbewerbung der Kommune eine strikte organisatorische und personelle Trennung zwischen der verfahrensleitenden Stelle der Kommune und der als Bieter beteiligten Organisationseinheit der Kommune. Diese ist bei der Zuordnung beider Stellen zu demselben Ressort (hier: Senatsverwaltung für Finanzen) in der Regel nicht gewahrt.

4. Bei der Gewichtung der Auswahlkriterien muss dem Kriterium des sicheren Netzbetriebs ein besonderer Stellenwert zukommen, da die Zuverlässigkeit der Versorgung und die Ungefährlichkeit des Betriebs der Verteilungsanlagen von fundamentaler Bedeutung für die Versorgungssicherheit ist. Die Bewertung des "sicheren Netzbetriebs" mit einem Anteil von knapp 16 % stellt eine mit den Zielen des § 1 EnWG unvereinbare Mindergewichtung dar.

5. Werden in dem von der Kommune mitgeteilten Katalog der Vergabekriterien der Sache nach Unterkriterien gebildet, so folgt aus dem Transparenzgebot, dass deren Gewichtung den Bietern vorab mitzuteilen ist.

6. §§ 33 Abs. 1, 19 GWB begründen grundsätzlich keinen Anspruch auf Abschluss eines Konzessionsvertrags zugunsten des im Rahmen einer Konzessionsvergabe unbillig benachteiligten Bieters. Ein solcher Anspruch kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn das kartellrechtswidrige Verhalten auf andere Weise nicht vermieden werden kann. In der Regel besteht jedoch auch die Möglichkeit, das Konzessionsvergabeverfahren (teilweise) zu wiederholen.

7. Ein Bieter kann im Falle seiner unbilligen Behinderung grundsätzlich auch nicht den Ausschluss des bevorzugten Konkurrenten vom Konzessionsvergabeverfahren verlangen. Das gilt auch für den Fall, dass der Konkurrent formale Vorgaben der verfahrensleitenden Stelle nicht eingehalten hat, da diese Vorgaben in erster Linie der Strukturierung des Verfahrens dienen und regelmäßig keine subjektiven Rechte der anderen Bieter begründen

 

Normenkette

EnWG §§ 19, 33 Abs. 1, § 46 Abs. 6; GWB §§ 1, 33 Abs. 2

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 09.03.2021; Aktenzeichen KZR 55/19)

 

Tenor

Die Berufungen der Klägerinnen und des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 9. Dezember 2014 - 16 O 224/14 Kart - werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden - hinsichtlich der Kosten erster Instanz unter Abänderung des angefochtenen Urteils - gegeneinander aufgehoben.

Das vorliegende Urteil sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 50 Mio. Euro abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um die Neuvergabe der Konzession für den Betrieb des Gasversorgungsnetzes in Berlin.

Die Klägerin zu 1 ist Eigentümerin des Berliner Gasverteilnetzes und war Inhaberin der bis Ende 2013 laufenden Konzession.

Die Klägerin zu 2 wurde am 1. Januar 2006 als selbständige Netzbetreiberin für die Region Berlin-Brandenburg aus der Klägerin zu 1 und der ... ausgegründet. Die Klägerin zu 2 hat das Berliner Gasverteilnetz von der Klägerin zu 1 gepachtet. Die Klägerin zu 1 hält 80,5 % der Gesellschaftsanteile an der Klägerin zu 2.

Durch Veröffentlichung einer Aufforderung zur Abgabe von Interessenbekundungen leitete der Beklagte am 20. Dezember 2011 das Verfahren zur Neuvergabe des Wegenutzungsrechts für das Gasversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung im Land Berlin gemäß § 46 Abs. 2 Energiewirtschaftsgesetz (im Folgenden: Gaskonzession) ein. Verfahrensleitende Stelle war das Referat I A der Senatsverwaltung für Finanzen.

Drei Monate später gründete die Senatsverwaltung für Finanzen des Beklagten den Landesbetrieb B..., einen rechtlich unselbständigen Teil der Berliner Verwaltung nach § 26 Landeshaushaltsordnung, zum Zweck der Bewerbung u.a. um die Gaskonzession. Die Geschäftsleitung wurde von der Leitung des Referats I E der Senatsverwaltung für Finanzen wahrgenommen, die Fachaufsicht oblag dem Referat I C. Nach Ziff. 3.4 der vom damaligen Senator für Finanzen ... sowie der damaligen und heutigen Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Finanzen ... unterzeichneten Geschäftsanweisung für den Landesbetrieb B... vom 30. März 2012 unterlag die Geschäftsleitung nicht den Weisungen des für Finanzen zuständigen Senat...

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