Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigenbedarfskündigung ggü. einem blinden Mieter
Verfahrensgang
AG Berlin-Charlottenburg (Urteil vom 11.09.2003; Aktenzeichen 218 C 628/02) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11.9.2003 verkündete Urteil der Zivilprozessabteilung 218 des AG Charlottenburg abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten der ersten Instanz und des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Berufung der Beklagten ist begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gem. § 546 Abs. 1 und 2 BGB n.F.
Zwar ist dem AG darin zu folgen, dass der Kläger das Mietverhältnis mit Schreiben vom 2.4.2003 wirksam gekündigt hat. Eigenbedarf i.S.d. § 573 Abs. 2 Ziff. 2 BGB n.F. liegt vor. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Die Beklagte zu 1) war jedoch als Mieterin berechtigt, gem. § 574 Abs. 1 S. 1 BGB n.F. der Kündigung zu widersprechen. Sie kann die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, weil die Beendigung des Mietverhältnisses für den mit ihr in der Wohnung lebenden Ehemann und Beklagten zu 2) eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.
Der Umstand, dass der Beklagte zu 2) 80 Jahre alt ist und dass das Mietverhältnis bereits seit über 30 Jahren besteht, stellt allein keinen Grund dar, der eine besondere Härte i.S.d. § 573 Abs. 2 Ziff. 2 BGB n.F. begründen könnte (Schmidt-Futterer, Mietrecht, 2003, § 574 Rz. 39; OLG Karlsruhe v. 3.7.1970 - 1 RE Miet 1/70; LG Berlin MM 199, 351), zumal nicht bekannt ist, wie lange der Beklagte zu 2) in der Wohnung wohnt. Vorliegend trifft aber das hohe Alter des Beklagten zu 2) mit einer schweren körperlichen Beeinträchtigung zusammen (vgl. hierzu Schmidt-Futterer, Mietrecht, 2003, § 574 Rz. 39; LG Berlin MM 199, 351; OLG Karlsruhe v. 3.7.1970 - 1 RE Miet 1/70). Die Zeugin Dr. M.L. hat bei ihrer Vernehmung im Termin am 26.8.2003 bekundet, dass der Beklagte auf dem rechten Auge praktisch nichts mehr sehe. Dieses Auge sei blind. Auf dem linken Auge habe der Beklagte zu 2) eine Makuladegeneration und nur eine Sehkraft von 1/25. Das bedeute, dass er auf eine Entfernung von ca. 1 m große Buchstaben auf einer Tafel nur erraten und nicht richtig lesen könne. Er könne sich in ihm bekannten Räumen, deren Möblierung er kenne, noch zu Recht finden. Er wisse z.B., wo das Fenster sei und könne dies auch aufgrund des Lichteinfalls erkennen. Der Beklagte zu 2) könne sich aufgrund seiner Kenntnis in der jetzigen Umgebung im Treppenhaus und auf der Straßenseite, an der das Haus liege, bis hin zur nächsten querenden Straße - an den Hauswänden entlang tastend - allein orientieren, was in einer neuen Umgebung nicht möglich sei. Es sei ihm jedoch in der ihm bekannten Umgebung nicht möglich, eine Straße zu überqueren, Straßennamen zu lesen oder eine Ampel zu erkennen. Deshalb sei der Beklagte zu 2) grundsätzlich auf eine Begleitung angewiesen. Aufgrund seines Alters und seines Gesundheitszustandes gebe es bei dem Beklagten zu 2) eine gewisse Verzögerung in Denk- und Aufnahmeprozessen, was jedoch von der Wohnumgebung nicht abhängig sei.
Nach den Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung hatte der erkennende Richter keinerlei Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Wahrhaftigkeit dieser Aussage. Der Senat hat keine Veranlassung an dieser Glaubwürdigkeitsbeurteilung zu zweifeln. Bei Zugrundelegung der Aussage der Zeugin Dr. L. muss aber entgegen den Ausführungen des AG in der angefochtenen Entscheidung davon ausgegangen werden, dass ein Umzug die Lebenssituation des Beklagten zu 2) so erheblich verschlechtern würde, dass eine soziale Härte i.S.d. § 574 BGB vorläge. Der Beklagte zu 2) ist zurzeit, aufgrund seiner Kenntnis der jetzigen Umgebung, noch in der Lage, sich ohne fremde Hilfe im Treppenhaus und auf der Straßenseite, an der das Haus liegt, bis hin zur nächsten querenden Straße - an den Hauswänden entlangtastend - zu orientieren. Dies würde ihm in neuer Umgebung nicht möglich sein, so dass ihm ein für seine Verhältnisse großes Stück Selbstbestimmtheit genommen werden würde. Darüber hinaus würde ihm durch einen Umzug abverlangt, sich in einer neuen Wohnung, möge sie auch ähnlich geschnitten sein wie die alte, zurechtzufinden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es bei dem Beklagten aufgrund seines Alters und seines Gesundheitszustandes eine gewisse Verzögerung in Denk- und Aufnahmeprozessen gibt, die ein Zurechtfinden in einer neuen Wohnung erschweren würde. Dies "Kennenlernen" der neuen Wohnung kann nicht nur, wie das AG ausführt, als "bestimmt belastend" gewertet werden. Das Zurechtfinden in einer neuen Wohnung würde für den Beklagten zu 2) aufgrund seines hohen Alters in Verbindung mit seiner Erkrankung einen so hohen Kraftakt abverlangen, dass von einem wichtigen Härtegrund ausgegangen werden muss, der das I...