Leitsatz (amtlich)

Wird auf einer öffentlichen Kundgebung, die gegen die israelische Militärpolitik im Gazastreifen gerichtet ist, ein mit roter Pinselfarbe auf einen Pappkarton gezeichnetes Hakenkreuz gezeigt, das durch ein Gleichheitszeichen mit einem den Staat Israel symbolisierenden Davidstern verbunden und gleichgesetzt ist und ebenso wie jener für einen verständigen Betrachter durch aus dem Symbol nach unten verlaufende rote Farblinien ein Blutvergießen (an unschuldigen Menschen) symbolisiert, so erfüllt dies nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 10.03.2010; Aktenzeichen (575) 81 Js 209/09 Ns (142/09))

 

Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft Berlin gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. März 2010 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

 

Gründe

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat dem Angeklagten mit ihrem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls vom 3. März 2009 zur Last gelegt, sich am 29. Dezember 2008 in Berlin-Wilmersdorf des Verwendens von Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation schuldig gemacht zu haben, indem er anlässlich einer Demonstration unter dem Motto "Solidarität mit dem palästinensischen Volk" auf öffentlichem Straßenland einen mit einem Hakenkreuz beschrifteten Pappkarton als Plakat bei sich getragen habe. Das Amtsgericht Tiergarten hat den auf die Verhängung einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen lautenden Strafbefehl am 17. März 2009 antragsgemäß erlassen. Auf den Einspruch des Angeklagten hat es mit Urteil vom 19. Juni 2009 wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen sowie Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen festgesetzt.

Das Landgericht Berlin hat den Angeklagten auf dessen Berufung freigesprochen. Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen das angegriffene Urteil nur insoweit, als eine Verurteilung wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unterblieben ist. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I. Nach den von der Revision nicht angegriffenen, rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts fand am 29. Dezember 2008 in Berlin-Wilmersdorf anlässlich der am 27. Dezember 2008 begonnenen israelischen Militärmaßnahmen im sog. Gazastreifen eine Demonstration gegen die Politik des Staates Israel unter dem o.g. Motto statt, an der der Angeklagte teilnahm. Der aus dem Gazastreifen stammende und durch die dortigen, in Deutschland seinerzeit vielfach öffentlich diskutierten Geschehnisse emotional stark betroffene Angeklagte befand sich in der Mitte einer Mehrzahl von Demonstranten. Deren genaue Anzahl hat das Landgericht nicht mitgeteilt; es handelte sich aber um eine "größere Menge" von Menschen. Das aus dem Teil eines Pappkarton selbst gefertigte, etwa 70 x 150 cm große Plakat des Angeklagten wies auf der einen Seite die jeweils in roter Farbe - ersichtlich mit Pinselstrich - gezeichneten Symbole des Hakenkreuzes und des Davidsterns auf, wobei letzterer vom Betrachter aus gesehen links und das Hakenkreuz rechts angeordnet war. Beide Symbole verfügten über die gleiche Größe, und zwischen ihnen fand sich das in der Mathematik verwendete Gleichheitszeichen ("='), das dieselbe Strichstärke wie die beiden Symbole aufwies. Mit aus den Zeichnungen nach unten verlaufenden roten Farblinien wollte der Angeklagte symbolisieren, dass die Militäraktionen Israels im Gazastreifen angesichts ihrer Zivilopfer und die Verbrechen der Nationalsozialisten aus seiner Sicht in gleicher Weise jeweils mit unerträglichem Blutvergießen verbundenes Unrecht an unschuldigen Opfern - damals an den Juden, nun an der palästinensischen Bevölkerung - darstellten. Die andere Seite des Plakates war in großen Lettern mit der Aufschrift "Wer wegsieht ist schuldig' sowohl in deutscher Sprache, als auch in arabischer Schrift versehen. Die Berufungskammer hat durch wirksame Bezugnahme gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf zwei Fotografien den Senat in die Lage gesetzt, sich von dem Plakat ein umfassendes eigenes Bild zu verschaffen.

Die Kundgebung war für einen unbefangenen Beobachter bei erstmaligem Hinsehen eindeutig und unzweifelhaft als Protestaktion gegen die israelische Politik im Gazastreifen zu erkennen. So wurden neben dem vom Angeklagten mehrere Minuten lang getragenen Plakat in seiner unmittelbaren Nähe von anderen Demonstranten Plakate mit Aufschriften wie "Gaza ist total abgeriegelt" und "Stoppt die israelische Blockade" sowie mehrere palästinensische Fahnen hochgehalten. Der Angeklagte trug sein Plakat mit sich, um die nach seiner Ansicht verbrecherischen Maßnahmen des Staates Israel anzuprangern, die mit den ebenfalls verachtenswerten Verbrechen der Nationalsozialisten gleichzusetzen seien. Der Davidste...

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