Entscheidungsstichwort (Thema)
Materielle Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung, Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von Leistungen eines Versicherungsnehmers auf Prämienerhöhungen in einer privaten Krankenversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Beweis der materiellen Wirksamkeit der Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung gemäß § 203 Abs. 2 VVG, §§ 12b, 12c VAG a.F. i.V.m. der Kalkulationsverordnung (KalV) bzw. §§ 155, 160 VAG i. V. m. der Krankenversicherungsaufsichtsverordnung (KVAV) durch den vom Versicherungsnehmer auf Rückzahlung von erhöhten Prämienanteilen nach Beitragserhöhungen in Anspruch genommenen und beweisbelasteten Versicherer ist nicht geführt, wenn der mit der Erstattung eines versicherungsmathematischen Gutachtens gerichtlich beauftragte Sachverständige die Einhaltung der Grenzen des Beurteilungsspielraums, der dem Versicherer bei der Verteilung der zur Limitierung der Erhöhung eingesetzten Mittel aus der Rückstellung für Beitragsrückerstattung zusteht, nicht überprüfen kann, weil die Gründe für die Verteilung der Mittel auf die Versicherten aus den zur Überprüfung vorgelegten Unterlagen nicht hinreichend nachvollzogen werden können.
2. Dabei hat der Sachverständige eine tarifübergreifende Betrachtung anzustellen. Es kommt nicht darauf an, ob und in welchem Maße sich ein Fehler zum Nachteil des einzelnen klagenden Versicherungsnehmers ausgewirkt hat.
3. Die gerichtliche und mithin sachverständige Prüfung ist auf die Unterlagen beschränkt, die der Versicherer dem unabhängigen Treuhänder für den Erhalt von dessen Zustimmung zur Beitragsanpassung gemäß §§ 12b VAG a.F., 15 KalV a.F. bzw. § 155 VAG, § 17 KVAV vorgelegt hat.
Normenkette
BGB §§ 195, 199 Abs. 1, § 214 Abs. 1, § 812 Abs. 1 S. 1, § 818; KalV § 15; KVAV § 17; VAG a.F. §§ 12b, 12c; VAG §§ 155, 160; VVG § 203 Abs. 2, 5; ZPO § 256 Abs. 2, § 286
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 10.01.2018; Aktenzeichen 23 O 264/16) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10.01.2018, Aktenzeichen 23 O 264/16, abgeändert und - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - wie folgt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Versicherungsnummer ... unwirksam sind und der Kläger nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrags verpflichtet ist:
a) in der Krankheitskostenversicherung im Tarif A die Erhöhung zum 01.01.2012 um 36,79 EUR in der Zeit ab dem 1.1.2013, und die Erhöhung zum 01.01.2016 um 106,72 EUR, jeweils bis zum 31.12.2018,
b) in der Krankheitskostenversicherung im Tarif B die Erhöhung zum 01.01.2015 um 11,31 EUR.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.175,84 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.234,26 EUR seit dem 01.06.2016 sowie jeweils aus einem Betrag von weiteren 154,82 EUR ab dem 01.07.2016, dem 01.08.2016, dem 01.09.2016, dem 01.10.2016 und dem 01.11.2016 sowie aus einem Betrag von weiteren 154,82 EUR ab dem 11.01.2020 sowie aus einem Betrag von weiteren 1.857,84 EUR seit dem 15.01.2021 zu zahlen.
3. Er wird festgestellt, dass die Beklagte
a.) dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie bis zum 31.05.2016 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den der Kläger auf die unter 1. aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
b.) die nach 3.a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 11.10.2016 zu verzinsen hat.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz haben der Kläger 5 % und die Beklagte 95 % zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in der Privaten Krankenversicherung, welche der Kläger seit dem 1. Januar 2011 zu der Versicherungsnummer [...] bei der Beklagten unterhält, unter anderem in den Tarifen A (ambulante und stationäre Heilbehandlung) und B (zahnärztliche Heilbehandlung).
Die Beklagte nahm gegenüber dem Kläger in den vorgenannten Tarifen, jeweils mit Zustimmung des Treuhänders, Beitragsanpassungen (im Folgenden auch: BAP 2012, BAP 2015, BAP 2016) wie folgt vor:
Tarif |
Erhöhung zum |
Um monatlich |
Treuhänder Zustimmung |
Mitteilung an den Kläger |
Tarif A |
1.1.2012 |
36,79 EUR |
Zustimmung des Treuhänders TH-1 vom 10.10.2011 |
Schreiben vom November 2011, Informationen zur Beitragsanpassung zum 1.1.2012 |
Tarif B |
1.1.2015 |
11,31 EUR |
Zustimmung des Treuhänders TH-2 vom 28.11.2014 |
Schreiben vom November 2014, I... |