Entscheidungsstichwort (Thema)
Materielle Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung, Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von Leistungen eines Versicherungsnehmers auf Prämienerhöhungen in der privaten Krankenversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Beweis der materiellen Wirksamkeit der Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung gemäß § 203 Abs. 2 VVG, §§ 155, 160 VAG i.V.m. der Krankenversicherungsaufsichtsverordnung (KVAV) durch den vom Versicherungsnehmer auf Rückzahlung von erhöhten Prämienanteilen nach Beitragserhöhungen in Anspruch genommenen und beweisbelasteten Versicherer ist nicht geführt, wenn der mit der Erstattung eines versicherungsmathematischen Gutachtens gerichtlich beauftragte Sachverständige die Einhaltung der Grenzen des Beurteilungsspielraums, der dem Versicherer bei der Verteilung der zur Limitierung der Erhöhung eingesetzten Mittel aus der Rückstellung für Beitragsrückerstattung zusteht, nicht überprüfen kann, weil die Gründe für die Verteilung der Mittel auf die Versicherten aus den zur Überprüfung vorgelegten Unterlagen nicht hinreichend nachvollzogen werden können.
2. Dabei hat der Sachverständige eine tarifübergreifende Betrachtung anzustellen. Hierfür reicht es nicht aus, wenn eine dokumentierte Begründung für die Mittelverwendung sich auf einen einzelnen Tarif oder vereinzelte Aspekte beschränkt, unabhängig davon, ob diese punktuelle Begründung für sich genommen nachvollziehbar erscheint oder dem Kläger nachteilig ist. Es kommt nicht darauf an, ob und in welchem Maße sich ein Fehler zum Nachteil des einzelnen klagenden Versicherungsnehmers ausgewirkt hat.
3. Die gerichtliche und mithin sachverständige Prüfung ist auf die Unterlagen beschränkt, die der Versicherer dem unabhängigen Treuhänder für den Erhalt von dessen Zustimmung zur Beitragsanpassung gemäß § 155 VAG, § 17 KVAV vorgelegt hat.
Normenkette
BGB §§ 195, 199 Abs. 1, § 214 Abs. 1, § 812 Abs. 1 S. 1, § 818; KVAV § 17; VAG §§ 155, 160; VVG § 203 Abs. 2, 5; ZPO § 256 Abs. 2, § 286
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 24.05.2018; Aktenzeichen 23 O 144/17) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24.05.2018, Aktenzeichen 23 O 144/17, abgeändert und - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - wie folgt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass die Erhöhung des Monatsbeitrags
im Tarif Q zum 01.01.2017 um 158,62 EUR,
in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Versicherungsnummer [...] unwirksam ist und der Kläger bis zum 31.12.2018 nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrags verpflichtet ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.903,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 634,48 EUR seit dem 6.04.2017, aus weiteren 158,62 EUR seit dem 20.06.2017 sowie aus weiteren 1.110,34 EUR seit dem 15.01.2021 zu zahlen
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte
a) dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie vor dem 01.04.2017 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den der Kläger auf die unter 1. aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
b.) die nach 3.a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 06.04.2017 zu verzinsen hat.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen haben der Kläger 12 % und die Beklagte 88 % zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von zwei Beitragsanpassungen in der Privaten Krankenversicherung, welche der Kläger seit dem 1.04.1983 als private Krankheitskostenversicherung mit der Versicherungsnummer ... bei der Beklagten unterhält, unter anderem in den Tarifen Q (ambulante und stationäre Heilbehandlung) und P (zahnärztliche Heilbehandlung).
Die Beklagte nahm gegenüber dem Kläger in den vorgenannten Tarifen, jeweils mit Zustimmung des Treuhänders, Beitragsanpassungen (im Folgenden auch: BAP 2011, BAP2017) wie folgt vor:
Tarif |
Erhöhung zum |
Um monatlich |
Treuhänder Zustimmung |
Mitteilung an den Kläger |
Tarif P |
01.01.2011 |
8,41 EUR |
Zustimmung des Treuhänders TH-1 vom 20.10.2010 (Anl. ... 15) |
Nachtrag z VersSchein Nov. 2010, Info zu Beitragsändg. zum 01.01.2011 (K3, K4) |
Tarif Q |
01.01.2017 |
158,62 EUR |
Zustimmung des Treuhänders TH-2 vom 21.11.2016 (... BB 12 A 14) |
Nachtrag z VersSchein Nov. 2016, Info zu Beitragsändg. zum 01.01.2017 (K1, K2) |
Wegen des Wortlautes der Erhöhungserklärungen der Beklagten im Einzelnen wird auf die Anlagen K1 (bzw. K1-neu) bis K4 der Klageschrift (im blauen Anlagenband) Bezug ge...