Leitsatz (amtlich)
Ein Fahrzeugführer, der unzulässig die Busspur benutzt und an einem Stau vorbeifährt, kann ein Mitverschulden an einer Kollision mit einem aus dem Gegenverkehr kommenden Linksabbieger zukommen. Denn bei der Beurteilung eines Mitverschuldens ist stets zu prüfen, ob sich der Geschädigte"verkehrsrichtig" verhalten hat, was sich nicht nur durch die Regeln der StVO bestimmt, sondern zudem durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar ist, um diese Gefahren möglichst gering zu halten.
Normenkette
BGB § 254 Abs. 1; StVO § 9 Abs. 5, § 1 Abs. 1-2, § 41 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 17.12.2014; Aktenzeichen 42 O 246/14) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Berlin vom 17.12.2014 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - wie folgt geändert:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger Euro 263,96 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.10.2014 zu zahlen.
Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits der ersten und zweiten Instanz haben der Kläger 95 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 5 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Berufung der Beklagten hat überwiegend Erfolg.
1) Dem Grunde nach hat der Kläger gegen die Beklagten als Gesamtschuldner lediglich einen Anspruch auf Ersatz seiner Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 16.8.2012 in Höhe von 2/3. Dies gilt sowohl für die Verschuldenshaftung nach § 823 BGB als auch für die Gefährdungshaftung nach §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und Abs. 2, 18 StVG - jeweils in Verbindung mit § 115 Abs. 1 VVG, soweit es die Beklagte zu 2) betrifft.
Zwar hat das LG zutreffend ausgeführt, dass der in ein Grundstück nach links abbiegende Beklagte zu 1) gegen die Sorgfaltsanforderungen gemäß § 9 Abs. 5 StVO verstieß. Dies stellen die Beklagten auch nicht in Abrede, welche - mit Ausnahme der Wiederbeschaffungskosten - vorprozessual alle vom Kläger geltend gemachten Schäden nach einer Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 zu ihren Lasten regulierten, indem sie Euro 9.472,26 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten nach einem Gegenstandswert von bis zu Euro 10.000,00 ausglichen.
Jedoch weicht der Senat von der Beurteilung des LG ab, wonach der Beklagte zu 1) den Unfall allein verursacht haben soll:
a) Da der Beklagte zu 1) den Unfall schuldhaft verursachte, ist die Vorschrift des § 254 Abs. 1 BGB über die Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Verletzten ohne jeden Zweifel anwendbar. Im Rahmen von § 254 BGB geht es nicht um eine rechtswidrige Verletzung einer gegenüber einem anderen oder gegenüber der Allgemeinheit bestehenden Rechtspflicht, sondern nur um einen Verstoß gegen Gebote der eigenen Interessenwahrnehmung. Die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Anspruchsminderung des Geschädigten beruht auf der Überlegung, dass jemand, der diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die nach Lage der Dinge erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, auch die Kürzung seiner Ansprüche hinnehmen muss. Der Verletzte hat sich "verkehrsrichtig" zu verhalten, was sich nicht nur durch die Regeln der StVO bestimmt, sondern zudem durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar ist, um diese Gefahren möglichst gering zu halten (vgl. zum Vorstehenden BGH, Urteil vom 17.6.2014 - VI ZR 281/13 - juris Rz. 8 und 9).
Vorliegend befuhr der Kläger unzulässig die Busspur, die nach § 41 Abs. 1 StVO in Verbindung mit dem Zeichen 245 der Anlage 2 nicht durch Personenkraftfahrzeuge benutzt werden darf. Damit verstieß der Kläger gleichzeitig gegen die Grundregeln des § 1 Abs. 1 und Abs. 2 StVO, aus denen folgt, dass Verkehrsregeln, Verkehrszeichen und Lichtzeichen zu beachten sind (vgl. König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Einleitung Rn. 122 bis 124 und § 1 StVO Rn. 9). Der vom Kläger vorgebrachte Grund für das Befahren der Busspur, nämlich um in einer - hinter der Kollisionsstelle gelegenen - Parklücke zu parken, ist nicht geeignet, die Regelabweichung zu erlauben, da der Kläger unstreitig die Busspur nicht etwa nur zwecks Einparkens kurz querte, sondern er fuhr auf dieser geradeaus. Demgegenüber wäre es nach den Umständen im Hinblick auf die Übersichtlichkeit der Verkehrslage geboten gewesen, in der für den Individualverkehr freigegebenen Fahrspur zu bleiben und den dort stockenden Verkehrsverlauf in Kauf zu nehmen. Immerhin musste der Kläger damit rechnen, dass auf der freigegebenen Fahrspur ihm vorausfahrende Verkehrsteilnehmer ebenfalls den freien Parkplatz nutzen wollen und dafür die Busspur erlaubterweise queren könnten, die gemäß § 12 Abs. 5 Satz 1 StVO grundsätzlich bevorrechtigt gewesen wären. Durch das vorzeitige Ausweichen auf die Busspur erhöhte der Kläger die Kollisionsgefahr mit die Busspur querenden Verkehrsteilnehmern.
Der Verkehrsverstoß des Klägers ist für den Unfall kau...