Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Kenntnis iSd. § 15 Abs. 1 HGB von der noch nicht eingetragenen und bekanntgemachten Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, wenn der Abberufungsbeschluss bekannt, aber die Wirksamkeit der Abberufung umstritten ist
Leitsatz (amtlich)
1. Die Kenntnis von der Fassung eines Abberufungsbeschlusses begründet keine Kenntnis (§ 15 Abs. 1 HGB) von der noch nicht eingetragenen und bekanntgemachten Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, wenn die Wirksamkeit der Abberufung umstritten ist.
2. Die Erhebung einer Widerklage durch die berufungsbeklagte Partei ist auch ohne ausdrückliche Erklärung als Anschließung auszulegen und muss daher die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO wahren. Eine Ausnahme hiervon für Zwischenfeststellungsklagen (§ 256 Abs. 2 ZPO) ist nicht geboten.
Normenkette
BGB §§ 125, 139, 311b; GmbHG § 37 Abs. 2, § 50 Abs. 1, 3 S. 1; HGB § 15 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 2, § 524 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 03.09.2021; Aktenzeichen 22 O 197/19) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 03.09.2021, Az. 22 O 197/19, wird zurückgewiesen.
Die Anschlussberufung der Beklagten wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Berufungsrechtszuges hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil und das Urteil des Landgerichts Berlin vom 03.09.2021, Az. 22 O 197/19, sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien sind Unternehmen der Immobilienwirtschaft und streiten um eingetragene Auflassungsvormerkungen aus einem am 16.6.2018 beurkundeten Grundstückskaufvertrag.
Der Unternehmensgegenstand der als "K. Grundbesitz GmbH" firmierenden Klägerin lautet dabei: "Die Projektentwicklung im Bauhaupt- und Nebengewerk, Grundstücksvermittlung, Bauplanung- und Bauüberwachung, Wohnungs- & Geschäftshausbau, Bauleistungen für Industrie- und Industrieanlagen, Beratungsleistungen im Bauhaupt- und Nebengewerk und alle damit im Zusammenhang stehenden Geschäfte sowie der Erwerb, die Entwicklung, Vermietung, Verwaltung und der Verkauf von Grundstücken und der Betrieb gleichartiger oder ähnlicher Unternehmen, die Beteiligung an solchen, insbesondere als Gesellschafter und Komplementärgesellschaft, deren Vertretung und Geschäftsführung." Gesellschafter der Klägerin waren die C. GmbH (fortan: Mehrheitsgesellschafterin) und die B. Bau GmbH & Co. KG, später B. GmbH & Co. KG (fortan: Minderheitsgesellschafterin).
Die Klägerin erwarb das mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebaute Grundstück am K. in 2015 und teilte es im Juli 2015 in sieben Gewerbeeinheiten und 23 Eigentumswohnungen, was in 2016 grundbuchlich vollzogen wurde (Anlagen B8, BK3). In einer als "Letter of guarantee" überschriebenen Urkunde vom 23.10.2017 (Anlage K3) erklärte der Geschäftsführer D. gegenüber der Mehrheitsgesellschafterin, dass er keine Veräußerung, Belastung, vertragliche Bindung oder Vermögensschmälerung ohne Zustimmung der Gesellschafterversammlung der Klägerin vornehmen werde. Anfang 2018 betrieb die Mehrheitsgesellschafterin die Abberufung des D. als Geschäftsführer der Klägerin und verhandelte zugleich mit diesem über die Veräußerung des Grundstücks am K., des einzigen Vermögensgegenstandes der Klägerin, und der Grundstücke anderer Objektgesellschaften mit ähnlichen Beteiligungsverhältnissen. In einem Vereinbarungsentwurf war für das Objekt der Klägerin ein Preis von EUR 16,0 Mio. vorgesehen, wobei davon mindestens EUR 9 Mio. an die Mehrheitsgesellschafterin fließen sollten (Anlage K5). Unter dem 15.5.2018 übersandte der Zeuge D. der Mehrheitsgesellschafterin einen Vertragsentwurf über einen Verkauf der Geschäftsanteile der Klägerin für EUR 16,2 Mio. (Anlage K6). Auf der Gesellschafterversammlung der Klägerin vom 14.6.2018 stimmte die Mehrheitsgesellschafterin für die Abberufung des Geschäftsführers D. und die Einziehung der Anteile der Minderheitsgesellschafterin an der Klägerin aus wichtigem Grund, die Minderheitsgesellschafterin stimmte dagegen und machte Einberufungsmängel geltend.
Derweil war am 12.6.2018 die Beklagte als B. Verwaltungs GmbH mit dem Zweck "Erwerb, Veräußerung sowie Halten und Verwalten von Grundstücken im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, insbesondere des Objekts in der B.-Straße in P." gegründet und sollte am 22.6.2018 im Handelsregister eingetragen werden. Ihre Gesellschafter waren Ka. und A., ersterer wurde Geschäftsführer der Beklagten. Am 16.6.2018 - einem Samstag - beurkundeten der Zeuge D. für die Klägerin und der Zeuge Ka. für die Beklagte den Verkauf der Gewerbeeinheiten und Eigentumswohnungen der Klägerin zu einem Preis von EUR 12,2 Mio., wobei die Parteien den jeweiligen W...