Entscheidungsstichwort (Thema)
Sorgfaltspflichten des Fußgängers beim Überqueren der Fahrbahn
Normenkette
BGB §§ 254, 843, 847; StVG § 9; StVO § 25 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 24 O 619/97) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin, die i.Ü. zurückgewiesen wird, wird das am 6.12.1999 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des LG Berlin geändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 1.088,15 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16.4.1998 zu zahlen. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin den materiellen Schaden nach einer Quote zu 2/3 zu ersetzen, der ihr aus dem Unfallereignis vom 25.5.1996 noch entstehen wird, soweit dieser nicht auf Dritte übergegangen ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug haben die Klägerin 88 % und die Beklagten 12 % zu tragen; von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 87 % und die Beklagten 13 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Wert der Beschwer übersteigt für keine Partei 60.000 DM.
Gründe
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache nur insoweit Erfolg, als die Beklagten den gegenwärtigen und künftigen materiellen Schaden nach einer Quote zu 2/3 zu ersetzen haben. Im Übrigen ist ihr Rechtsmittel unbegründet. Aus folgenden Gründen:
1. Zutreffend hat das LG festgestellt, dass der Beklagte zu 1) mit dem von ihm geführten und bei der Beklagten zu 2) gegen Haftpflicht versicherten Personenkraftwagen Ford Escort L die Verletzung der Klägerin als Fußgängerin am 25.5.1996 gegen 11.30 Uhr schuldhaft verursacht hat. Damals befuhr der Beklagte zu 1) mit dem Personenkraftwagen in L. die H.-Straße in Richtung Ortsmitte und hielt wegen eines Stoppschildes (Zeichen 206 zu § 41 StVO) unmittelbar vor der D.-Straße an, auf der der Verkehr vorfahrtberechtigt war. In diese Straße mündet die H.-Straße ein. Als der Beklagte zu 1) mit dem Fahrzeug hielt, begann die Klägerin, die H.-Straße aus der Sicht des Beklagten zu 1) von rechts nach links zu überqueren, und zwar vor dem Personenkraftwagen. Als der Beklagte zu 1) auf der D.-Straße keine Fahrzeuge wahrnahm, nahm er den Fuß vom Bremspedal, so dass der von ihm geführte Personenkraftwagen vorwärts zu rollen begann und gegen die Klägerin oder gegen eine von ihr auf der linken Seite getragene Tasche geriet. Jedenfalls stürzte die Klägerin alsbald zu Boden. Auch wenn sie anschließend wieder an eine Hauswand gelehnt stehen konnte, ist danach im Kreiskrankenhaus L. bei ihr u.a. eine laterale Tibiakopffraktur links festgestellt worden, die nur durch den Anstoß des Fahrzeuges gegen die Klägerin oder den Sturz erklärt werden kann, der mit dem Betrieb des Fahrzeuges im Zusammenhang steht (§ 286 ZPO).
Die Beklagten greifen die Entscheidung des LG, dass ihre Haftung nach einer Quote zu 1/2 gegeben sei, nicht an und machen damit nicht geltend, dass der Unfall für den Beklagten zu 1) unabwendbar gewesen wäre (vgl. § 7 Abs. 2 StVG). Damit ergibt sich die Haftung des Beklagten für gegenwärtige, bereits bezifferte und für künftige materielle Schäden der Klägerin aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 823 BGB und für immaterielle Schäden aus §§ 823, 847 Abs. 1 BGB, während die Beklagte zu 2) im Umfang der Haftung des Beklagten zu 1) gem. § 3 Nr. 1 und Nr. 2 Pflichtversicherungsgesetz für die Schäden gesamtschuldnerisch einzustehen hat. Im Streit steht im Berufungsverfahren nur noch das Ausmaß des Mitverschuldens der Klägerin (vgl. §§ 9 StVG, 254 BGB bezüglich der materiellen Schäden und allein § 254 BGB hinsichtlich des immateriellen Schadens).
2. Zum Ausmaß des Verschuldens des Beklagten zu 1) und zur Auswirkung des Mitverschuldens der Klägerin ist Folgendes hervorzuheben:
a) Die vom LG auf S. 5 f. seiner Entscheidung aufgezeigten Sorgfaltspflichten des Kraftfahrers im Straßenverkehr und des Fußgängers beim Überschreiten einer Fahrbahn entsprechen der Rechtsprechung des Senats (Urt. v. 3.4.2000 – 12 U 7999/97, KGReport Berlin 2001, 43). Damit hat sich eine bloße Wiederholung der Grundsätze erübrigt.
Aus den dem Kraftfahrer und dem Fußgänger obliegenden Sorgfaltspflichten ergibt sich, dass auf den konkreten Einzelfall abzustellen ist.
b) Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin die H.-Straße grundsätzlich in dem Einmündungsbereich zur D.-Straße in der von ihr beabsichtigten Weise auf kürzestem Wege überqueren durfte (§ 25 Abs. 3 StVO; vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., 1999, StVO § 25 Rz. 43). Der abbiegende Kraftfahrer hat zwar gem. § 9 Abs. 3 S. 3 StVO auf Fußgänger besondere Rücksicht zu nehmen und muss – wenn nötig – warten. Wenn die Klägerin hieraus herleiten will, dass das Verschulden des Beklagten zu 1) schon wegen dieser Vorschrift sehr schwer wiege, ist ihr nicht zu folgen. Denn die Vorschrift betrifft nur den Vortritt des Fußgängerverkehrs über die D.-Straße unabhängig davon, ob er dem Abbieger entgegenkommt oder gleichgerichtet ist (vgl. Jagusch...