Leitsatz (amtlich)
Ein Anspruch auf Gegendarstellung kommt in Betracht, wenn die beanstandete Äußerung mindestens ebenso gut als Tatsachenbehauptung wie als Meinungsäußerung zu verstehen ist.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 07.10.2004; Aktenzeichen 27 O 783/04) |
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin werden das am 7.10.2004 verkündete Urteil des LG Berlin und die einstweilige Verfügung des LG Berlin v. 16.9.2004 - 27 O 783/04 - teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, in der nächsten für den Druck noch nicht abgeschlossenen Sonntagsausgabe des "Tagesspiegel" auf S. 3 die nachfolgende Gegendarstellung in Abdruck zu bringen, und zwar unter drucktechnischer Hervorhebung der Überschrift "Gegendarstellung" in der Schrift der Überschrift "Die Geschichtenmacher" über der Ausgangsmitteilung v. 5.9.2004, aber mit einer Buchstabengröße entsprechend der Titelzeile "DIE DRITTE SEITE", und unter Hervorhebung der Fundstelle sowie der Namensunterschrift "Axel Springer AG" in einfachem Fettdruck:
"Gegendarstellung
Im Tagesspiegel von Sonntag, den 5.9.2004, berichtet ihre Redakteurin U.S. auf S. 3 unter der Überschrift "Die Geschichtenmacher" u.a. über die Recherchegewohnheiten der von der A.S. AG verlegten BILD-Zeitung und insb. der BILD-Unterhaltungsredaktion. Mit diesem Bericht verbreiten Sie zahlreiche Falschbehauptungen:
1. Es wird berichtet, die Viva-Moderatorin C.R. sei einige Wochen nach dem Unfall-Tod ihrer Brüder heimlich fotografiert worden, als sie mit ihrem Freund lachend auf der Straße stand. Kurz danach sei sie von jemandem aus der BILD-Redaktion angerufen worden. Der Journalist habe gesagt: "Entweder, Du gibst uns ein Interview, oder wir machen eine Geschichte, die nicht gut ist für Dich. In der Art "So tief ist ihre Trauer", daneben die lachende C.R.". Frau R. habe geschwiegen und Glück gehabt: BILD habe geblufft, das Foto als Druckmittel genutzt, es aber nicht veröffentlicht.
Diese Darstellung ist falsch. Kein BILD-Journalist hat sich ggü. C.R. wie zitiert geäußert. Die Redaktion hat das beschriebene Foto auch nicht als Druckmittel benutzt, da sie es nicht besaß und von seiner Existenz auch nichts wusste. Folglich konnte und sollte ein solches Foto auch nicht veröffentlicht werden.
2. Sie berichten, dass J.R. einem befreundeten BILD-Journalisten über angebliche gemeinsame Nächte mit einer Schlagersängerin aufs Tonband geplappert habe.
Das ist falsch. Keiner der beiden BILD-Journalisten, die diese Geschichte gemacht haben, ist oder war mit J.R. befreundet.
3. Sie behaupten, die TV-Moderatorin S.C. habe im Auftrag der BILD-Zeitung einen Bericht über ihre Reise in den Gaza-Streifen geschrieben, der sehr Israel-kritisch ausfiel. BILD-Chef K.D. habe den heiklen Text daraufhin der "BILD am Sonntag" überlassen.
Dazu stellen wir richtig: Der Auftrag wurde nicht von der BILD-Zeitung erteilt. BILD-Chefredakteur K.D. hat den Artikel auch nicht wegen seiner Israel-kritischen Aussage der "BILD am Sonntag" überlassen.
4. Sie behaupten, BILD suche Journalisten für das Unterhaltungs-Ressort, was sich als äußerst schwierig erweise.
Das ist falsch. BILD hat unlängst zwei neue Unterhaltungs-Redakteure eingestellt und sucht derzeit keine weiteren Redakteure. Die Suche nach ihnen war auch nicht schwierig.
Berlin, den 15.9.2004
Rechtsanwalt Prof. Dr. J. H. für A.S. AG"
Der weiter gehende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und die weiter gehende Berufung werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens haben die Antragstellerin 1/6 und die Antragsgegnerin 5/6 zu tragen.
Gründe
Die Berufung ist zulässig und hat zum kleineren Teil Erfolg. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Veröffentlichung einer Gegendarstellung ist gem. § 10 Abs. 1 Berliner Pressegesetz (nur) in dem sich aus dem Urteilsausspruch ergebenden Umfang begründet.
1. Das Gegendarstellungsverlangen zur (nunmehrigen) Ziff. 1. ist aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung begründet. Insbesondere ist es nicht offensichtlich unwahr oder irreführend, wenn die Antragstellerin bestreitet, dass ein "BILD"-Journalist ggü. C.R. mit dem Abdruck einer Geschichte und eines Fotos gedroht habe um von ihr ein Interview zu erlangen und dass die Redaktion ein solches Foto weder als Druckmittel benutzt noch besessen oder gekannt habe. Vielmehr bestand unstreitig kein direkter Kontakt mit C. R. und ist auch nicht unstreitig, dass der "BILD"-Redakteur C. sich in der geschilderten Weise ggü. dem VIVA-Mitarbeiter P. geäußert hätte.
2. Zur (nunmehrigen) Ziff. 2. ist die Ausgangsmitteilung, dass der "BILD"-Journalist mit J.R. befreundet war, als Tatsachenbehauptung und damit als gegendarstellungsfähig zu werten.
Der im angefochtenen Urteil und in der älteren Rechtsprechung des Senats (KG v. 18.5.1984 - 9 U 565/84, AfP 1984, 228 [229]) vertretene "weite" Tatsachenbegriff im Gegendarstellungsrecht ist zwar problematisch, weil gem. dem Beschluss des BVerfG v. 25.8.1998 (BVerfG v. 25.8.1998 - 1 BvR 1435/98, NJW 1999, 483 [484])...