Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 20.05.1996; Aktenzeichen 17 O 489/95)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers, die im übrigen zurückgewiesen wird, wird das am 20. Mai 1996 verkündete Urteil der Zivilkammer 17 des Landgerichts Berlin abgeändert:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 732,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 17. September 1996 zu zahlen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 18.000,- DM abwenden, sofern nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Der Wert der Beschwer übersteigt für den Kläger 60.000,- DM, für die Beklagten nicht.

 

Tatbestand

Der Kläger ist der Vater des am 9. Oktober 1983 in Berlin geborenen und am 15. Februar 1994 bei einem Verkehrsunfall schwerverletzten und drei Stunden später im Krankenhaus verstorbenen A. G.. Er macht einen Schmerzensgeldanspruch geltend mit dem Vortrag, durch den Tod des Sohnes in schwere Depressionen verfallen zu sein.

Der Unfall ereignete sich wie folgt: Am 15. Februar 1994 befuhr der Beklagte zu 1), der für die Beklagte zu 2) als Fahrer tätig war, mit dem von dieser gehaltenen und bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Lkw D.-B. mit dem amtlichen Kennzeichen B. gegen 13.30 Uhr die Adalbertstraße in Berlin-Kreuzberg in südlicher Richtung zum Kottbusser Tor. Wegen einer sich voraus befindenden Ampel herrschte Stop-and-Go-Verkehr. Der Beklagte zu 1) hielt erneut in Höhe des Grundstücks Adalbertstraße 96. Als er wieder anfuhr, stieß er den Sohn des Klägers um und überrollte ihn, vermutlich mit den linken Rädern des Lkw. Der damals 10 Jahre und 4 Monate alte Sohn des Klägers hatte die Fahrbahn zwischen zwei parkenden Pkw betreten und für den Beklagten zu 1) von rechts nach links überquert.

A. war 1,51 m groß. Die Unterkante der Windschutzscheibe des Lkw befindet sich in einer Höhe von 1,63 m. Bei dem Unfall erlitt das Kind schwere innere Verletzungen (u.a. Abriß des Darms vom Magen, Zerreißung des Lebergewebes, Abriß der Bauchspeicheldrüse vom Zwölffingerdarm, Abriß beider Harnleiter), jedoch wegen der Elastizität des kindlichen Skeletts keine Knochenbrüche. Trotz Operation verstarb es um 16.25 Uhr.

Der Kläger war kurz nach dem Unfall an die Unfallstelle gekommen und hatte seinen Sohn noch gesprochen. Aus diesem Grunde zahlte die Beklagte zu 3) vorprozessual ein Schmerzensgeld von 1.000,00 DM.

Der Kläger hat behauptet, er leide wegen des Todes seines Sohnes an schweren Depressionen, die nicht mehr behebbar seien. Er könne deswegen auch keiner Berufstätigkeit mehr nachgehen.

Wegen der Einzelheiten der von den Parteien eingereichten medizinischen Befunde wird auf die Stellungnahme der Ärztinnen B. und B. vom 16. Juli 1994 (Bl. 15), vom 26. Juli 1995 (Bl. 46) und vom 28. November 1995 (Bl. 27) sowie des Dr. G. vom 1. Februar 1995 (Bl. 43) Bezug genommen.

Der Kläger ist der Ansicht gewesen, da der Beklagte zu 1) wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, müsse er schuldhaft gehandelt haben. Er hat vorgetragen, es sei für den Beklagten zu 1) möglich gewesen, den Jungen zu sehen, als dieser von rechts kommend die Fahrbahn betrat.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens aber 100.000,00 DM abzüglich gezahlter 1.000,00 DM, zuzahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben ein Verschulden des Beklagten zu 1) bestritten und unbestritten vorgetragen, der Junge sei so dicht vor dem Lkw entlanggegangen, daß der Beklagte zu 1) ihn vor sich nicht habe sehen können.

Sie haben ferner bestritten, daß der Kläger an unfallbedingten erheblichen seelischen Störungen leidet.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, ein Verschulden des Beklagten zu 1) an dem Tod des Sohnes des Klägers sei nicht feststellbar; zwar folge aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R. im Strafverfahren, daß der Sohn des Klägers für den Beklagten zu 1) sichtbar gewesen wäre, wenn er in einem Abstand von 50 cm von der Front des Lkw über die Straße gegangen wäre; derartiges behaupte jedoch der Kläger nicht; auch das Schöffengericht sei davon nicht ausgegangen, nachdem der einzige Zeuge des Unfalls sich hinsichtlich des Abstandes nicht habe festlegen können. Auch der Umstand, daß der Beklagte zu 1) nicht bemerkt habe, daß der Sohn des Klägers von rechts kommend vor den Lkw getreten sei, begründe kein Verschulden.

Darüber hinaus fehlten die für einen Schmerzensgeldanspruch erforderlichen seelischen Beeinträchtigungen, die das übliche Maß der beim Tode naher Verwandter eintretenden Gesundheitsstörungen übersteigen würden. Denn aus den vom Kläger eingereichten ärztli...

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