Leitsatz (amtlich)
Erste Entscheidung des KG zum neuen Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 (ÜGRG).
Zur Zulässigkeit bei Altverfahren, zur unangemessenen Verfahrensdauer, Feststellung der überlangen Verfahrensdauer statt der begehrten Entschädigung in Geld.
Normenkette
ÜGRG Art. 23; GVG § 198
Nachgehend
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Dauer des Verfahrens beim KG - 3 UF 97/06 unangemessen lang war. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 93 % und der Beklagte zu 7 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A. Von der Darstellung des Tatbestands wird gem. §§ 313a ZPO, 201 Abs. 2 GVG, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
B. Die Klage ist zulässig aber nur zu einem geringen Teil begründet.
I. Zulässigkeit
Gemäß Art. 23 S. 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 (BGBl. I 2011, 2302, im Folgenden: ÜGRG) gilt dieses Gesetz auch für abgeschlossene Verfahren, deren Dauer bei seinem In-Kraft-Treten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist oder noch werden kann. Gemäß Art. 23 S. 5 ÜGRG muss die Klage spätestens am 3.6.2012 erhoben worden sein.
1. Die Frist des Art. 23 S. 5 ÜGRG ist gewahrt, denn die Klage ist per Fax am 1.6.2012 beim Gericht eingegangen und der erforderliche Kostenvorschuss noch vor Anforderung am 14.6.2012 gezahlt worden. Die Klage ist danach am 25.7.2012 demnächst i.S.d. § 167 ZPO zugestellt worden, da die zeitliche Differenz nicht vom Kläger veranlasst war.
2. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist auch die Frist des Art. 23 S. 1 ÜGRG gewahrt.
a) Es handelt sich unstreitig um ein abgeschlossenes Verfahren. Das AG Schöneberg hat am 13.7.2006 entschieden, das KG als Beschwerdegericht am 23.12.2009, zugestellt am 5. bzw. 7.1.2010. Hiergegen ist ein Rechtsmittel beim BGH ausweislich dessen Bestätigung vom 12.4.2010 (Bd.3 Bl.141a der BA) nicht eingelegt worden, zumal das KG die Rechtsbeschwerde im Beschluss vom 23.12.2009 nicht zugelassen hat (§§ 629a Abs. 2 S. 1, 621e Abs. 2, 543 Abs. 2 ZPO in der damals geltenden Fassung). Mit Schriftsatz vom 5.2.2010 hat der Kläger Verfassungsbeschwerde beim BVerfG eingelegt, die mit Beschluss vom 16.2.2010 wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen worden ist. Daraufhin hat er am 18.7.2010 Beschwerde beim EGMR eingereicht. Das reicht zur Wahrung der Frist des Art. 23 S. 1 ÜGRG aus.
b) Nach Art. 35 Abs. 1 EMRK ist eine Beschwerde beim EGMR nach Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe und nur innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung statthaft. Die letzte und damit bestandskräftige innerstaatliche Entscheidung war entgegen der Ansicht des Beklagten nicht der Beschluss des KG vom 23.12.2009. Abzustellen ist vielmehr auf den Beschluss des BVerfG vom 16.2.2010.
Zwar hat auch der EGMR die Frist wiederholt nach den Entscheidungen der Instanzgerichte berechnet (vgl. EGMR NVwZ 1999, 2943, NVwZ 2009, 1547) und dies in seinem Urteil vom 29.6.2012 noch einmal ausdrücklich betont (NJW 2012, 2943 Tz 60). Das schließt aber nicht aus, die Verfassungsbeschwerde als letzten Rechtsbehelf in die Berechnung der Frist mit einzubeziehen, wenn ein Rechtsmittel gegen die letzte Entscheidung der Instanzgerichte nicht mehr zulässig ist und die Partei davon Gebrauch gemacht hat, weil sie die Entscheidung des Instanzgerichts unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten für falsch hält. Nicht ausreichend wäre es, wenn die Verfassungsbeschwerde nur auf die überlange Verfahrensdauer gestützt wird (vgl. Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl., Art. 35 Rz. 19). Das ist hier aber nicht der Fall. Neben der langen Verfahrensdauer hat der Kläger in seiner Verfassungsbeschwerde auch die Annahme der internationalen Zuständigkeit durch das KG gerügt. Da das KG im Beschluss vom 23.12.2009 die Rechtsbeschwerde zum BGH nicht zugelassen und der Kläger den Instanzenzug damit voll ausgeschöpft hatte (§§ 629a Abs. 2 S. 1, 621e Abs. 2, 543 Abs. 2 ZPO in der damals geltenden Fassung), sieht der Senat keinen Grund, die beim EGMR anhängige Beschwerde als unstatthaft zu werten, zumal der EGMR - soweit ersichtlich - bislang von der Möglichkeit, die Beschwerde nach Art. 35 Abs. 4 MRK als unzulässig zurückzuweisen, keinen Gebrauch gemacht hat.
II. Begründetheit
Die Klage ist nur in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang begründet.
1. Entschädigung, die nicht Vermögensnachteil ist
Der Kläger rügt eine unangemessene Verfahrensverzögerung von insgesamt 4 Jahren und macht eine Entschädigung gem. § 198 Abs. 2 GVG i.H.v. 4.800 EUR geltend, wobei er im amtsgerichtlichen Verfahren eine Verzögerung von 19 Monaten und im Beschwerdeverfahren eine solche von 30 Monaten rügt.
a) Amtsgerichtliches Verfahren (25.7.2003 bis 13.7.2006 = 36 Monate) Die Rügen d...