Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 12.06.2002; Aktenzeichen 17 O 526/00) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12.6.2002 verkündete Urteil des LG Berlin – 17 O 526/00 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Berufung der Beklagten ist erfolgreich. Entgegen der Auffassung des LG ist der Hergang der Kollision am 2.12.1999 zwischen dem vom Kläger gesteuerten Renault Espace (B-…) und den vom Beklagten zu 1) gelenkten und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Taxi (B-…) auf der Kreuzung L.-straße/J.-straße in Berlin nicht ungeklärt geblieben. Auf Grundlage der Beweisergebnisse des LG (Zeugenvernehmung) ergibt sich bei zusätzlich gebotener Auswertung des Ampelschaltplans vielmehr ein Alleinverschulden des Klägers am Unfall. Daraus folgt seine Alleinhaftung, mithin die Klageabweisung.
A. § 286 ZPO fordert den Richter auf, den Sachverhalt auf Grundlage des Parteivorbringens möglichst vollständig aufzuklären (BGH v. 26.3.1997 – IV ZR 91/96, MDR 1997, 638 = NJW 1997, 1988). Er hat die in erheblicher Weise beantragten Beweise erschöpfend zu erheben und sich in der Urteilsbegründung mit dem Prozessstoff und dem Beweisergebnis umfassend und widerspruchsfrei auseinander zu setzen (BGH v. 15.3.2000 – VIII ZR 31/99, MDR 2000, 716 = NJW 2000, 2024). Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl. 2003, § 286 Rz. 3, 5, 6 m.w.N.).
B. Die Beachtung dieser Grundsätze führt zum Erfolg der Berufung der Beklagten. Ihnen ist der Indizienbeweis dafür gelungen, dass der Kläger mit seinem Fahrzeug noch vor Aufleuchten des für ihn maßgeblichen grünen Linksabbiegerpfeils nach links abgebogen ist; dies hat zur Kollision mit dem vorfahrtberechtigten Taxi des Beklagten zu 1) geführt. Das LG ist insoweit zwar von den zutreffenden und zwischen den Parteien auch unstreitigen Grundsätzen zur Darlegungs- und Beweislastverteilung bei Unfällen an ampelgeregelten Kreuzungen mit Linksabbiegerpfeil ausgegangen (S. 4 der Entscheidungsgründe; vgl. dazu auch KG v. 11.2.2002 – 12 U 117/01, KGReport Berlin 2003, 7 = VRS 103, 412 = NZV 2003, 291 = VersR 2003, 1274 L). Es ist jedoch nur der Frage nachgegangen, ob der Kläger den Beklagten ein unfallursächliches Verschulden nachgewiesen hat, und hat dies verneint. Die gegenbeweislichen Behauptungen der Beklagten zu einem Alleinverschulden des Klägers hat das LG außer Acht gelassen.
I. Ihre vom LG übergangene Behauptung, der Kläger sei vor Aufleuchten des Linksabbiegerpfeiles abgebogen, haben die Beklagten im Wege des Indizienbeweises bewiesen. Durch die Aussage des Zeugen B. steht fest (§ 286 ZPO), dass der Beklagte zu 1) mit dem Taxi bei gelbem Ampelsignal in die Kreuzung eingefahren ist. Aus dem beigezogenen Ampelschaltplan ergibt sich, dass dann der Linksabbiegerpfeil für den Kläger noch nicht aufgeleuchtet hat.
1. Die Angaben des Zeugen B. begründen die richterliche Überzeugung davon, dass der Beklagte zu 1) in die Kreuzung L.-straße/J.-straße bei gelbem Ampelsignal eingefahren ist (§ 286 ZPO). Dies hat das LG auf S. 4 des Urteils überzeugend ausgeführt.
a) Zu ergänzen ist insoweit lediglich, dass sich die Angabe des Zeugen B., die Ampel habe bei der Einfahrt in die Kreuzung gelbes Licht gezeigt, als Konstante in sämtlichen Vernehmungen zum Unfallhergang wiederfindet.
Bereits in seiner schriftlichen Aussage vom 27.12.1999 für die Polizei, also weniger als einen Monat nach dem Unfall vom 2.12.1999 (BA Bl. 16), hat der Zeuge formuliert:
„Bevor sich der Unfall ereignete, fuhr der Taxifahrer auf der linken Spur einer mehrspurigen Straße auf die Ampel der Kreuzung L.-straße/Ja.-straße zu. Die Ampel schaltete von Grün auf Gelb. Der Taxifahrer fuhr über Gelb durch.”
Entsprechend hat der Zeuge bei seiner ersten kommissarischen Vernehmung vor dem AG Böblingen am 3.5.2000 (auf Veranlassung des AG Tiergarten) zu Protokoll gegeben:
„Die Ampel schaltete von Grün auf Gelb. Der Taxifahrer fuhr noch bei Gelb durch, wobei er hierbei ein bisschen beschleunigte.”
In seiner zweiten kommissarischen Vernehmung durch das AG Böblingen am 16.1.2002, veranlasst durch das LG im vorliegenden Rechtsstreit, hat der Zeuge dann erklärt:
„Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, ich glaube, dass kurz vor der Unfallstelle eine Ampel war, welche von Grün auf Gelb geschaltet hat.”
Auf Frage des Gerichts hat er dann ergänzt:
„Als das Taxi die Haltelinie überfuhr, war die Ampel, meiner Erinnerung nach, noch Gelb und nicht Rot.”
Unter Berücksichtigung der Zeitablaufes und des damit einhergehenden Erinnerungsverlustes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit der Kernaussage, die Ampel sei bei Durchfahrt des Taxis auf Gelb g...