Entscheidungsstichwort (Thema)
Volksverhetzung durch Verharmlosen der NS-Verbrechen im Zusammenhang mit der Corona-Impfpflicht
Leitsatz (amtlich)
Die Abbildung des Tores eines Konzentrationslagers mit dem Schriftzug "Impfung macht frei" stellt ein Verharmlosen einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB dar.
Normenkette
StGB § 130 Abs. 3
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 19.05.2022; Aktenzeichen (251b Cs) 231 Js 1590/21 (57/22)) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 19. Mai 2022 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen.
Gründe
I.
1. Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten mit Urteil vom 19. Mai 2022 vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen, weil es die Eignung der Tathandlung des Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht verneint hat. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft (Sprung-)Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.
2. Das Amtsgericht hat zu dem verfahrensgegenständlichen Geschehen die folgenden Feststellungen getroffen:
"Am 13.04.2021 befand sich der zu diesem Zeitpunkt 52 Jahre alte und in Oldenburg lebende Angeklagte mit Bekannten in Berlin, um an der angemeldeten Versammlung "Nein zum IfsG 28b" im Bereich des Regierungsviertels teilzunehmen. Der Angeklagte und seine Begleiter erreichten den Versammlungsort allerdings erst am frühen Mittag, als die Versammlung bereits beendet war. Bei sich führte der Angeklagte insgesamt 17 Sticker in der Größe 11 × 7,5 cm, auf denen auf weißem Grund der in einen schwarzen Torbogen eingebrachte Schriftzug "IMPFUNG MACHT FREI" zu sehen ist. Einen dieser Sticker klebte der Angeklagte im Bereich der ...-Allee / Ecke ...allee in ... Berlin gegen 12:35 Uhr auf einen dort aufgestellten gläsernen Informationskasten. Dem Angeklagten war dabei bewusst, dass der Schriftzug angelehnt war an den Spruch "Arbeit macht frei", welcher während der NS-Zeit als Torbogenaufschrift an mehreren nationalsozialistischen Konzentrationslagern angebracht war, unter anderem auch in dem Lagerkomplex Auschwitz. Der Aufkleber ließ sich rückstandslos wieder entfernen.
II.
Die zulässige, insbesondere statthafte (§ 335 Abs. 1 StPO) und fristgerecht erhobene (§ 341 StPO) Sprungrevision der Staatsanwaltschaft hat (vorläufigen) Erfolg. Der Freispruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Zutreffend hat das Amtsgericht allerdings in dem Anbringen eines Aufklebers, auf dem in zeichnerischer Form ein in einen schwarzen "Torbogen" eingebrachter Schriftzug "IMPFUNG MACHT FREI" zu sehen ist, das Verharmlosen einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB gesehen.
a) Die Tathandlung bezieht sich aufgrund der offensichtlichen Abbildung des Tores eines Konzentrationslagers auf eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art, nämlich den massenhaften Mord und die auf Vernichtung angelegte Deportation von Juden in Konzentrationslager im Sinne des § 6 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 VStGB (vgl. LG Aachen, Beschluss vom 18. August 2022 - 60 Qs 16/22 -, juris Rn. 34; Hoven/Obert NStZ 2022, 331, 333 f.). Es bedarf insoweit keiner vertieften Erläuterung, dass damit erkennbar die historische Inschrift "ARBEIT MACHT FREI", die an den Toren mehrerer nationalsozialistischer Konzentrationslager angebracht war, abgewandelt werden soll (vgl. ArbG Berlin, Urteil vom 12. September 2022 - 22 Ca 223/22 -, juris Rn. 116).
b) In einer entsprechenden Äußerung ist, wie vom Amtsgericht angenommen, grundsätzlich auch ein Verharmlosen einer solchen Handlung gemäß § 130 Abs. 3 StGB zu sehen.
aa) Das Handlungsmerkmal des Verharmlosens ist erfüllt, wenn der Äußernde den Holocaust herunterspielt, beschönigt, in seinem wahren Gewicht verschleiert oder in seinem Unwertgehalt (quantitativ oder qualitativ) bagatellisiert bzw. relativiert (vgl. BGH NJW 2000, 2217, 2218; OLG Hamm, Beschluss vom 1. Oktober 2015 - III-1 RVs 66/15 -, juris Rn. 14; OLG Rostock, Beschluss vom 23. Juli 2007 - 1 Ss 80/06 I 42/06 -, juris Rn. 7). Dabei ist im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 GG der inhaltliche Gesamtaussagewert der Äußerung aus Sicht eines verständigen Betrachters durch genaue Bild- bzw. Textanalyse unter Berücksichtigung der Begleitumstände zu ermitteln (vgl. BGH, a. a. O.). Ist eine Äußerung mehrdeutig, so darf nicht allein die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde gelegt werden, ohne dass a...