Leitsatz (amtlich)
Zum Einfluss einer sitzungspolizeilichen Anordnung i.S.v. § 176 GVG bzw. einer Akkreditierungsauflage eines Gerichtspräsidenten auf die Interessenabwägung im Rahmen des abgestuften Schutzkonzeptes der §§ 22 f. KUG anlässlich einer Bildberichterstattung über den Verteidiger in einem Strafverfahren (hier: wegen eines Wetttrinkens mit tödlichem Ausgang).
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 11.06.2010; Aktenzeichen 27 O 439/09) |
Tenor
Auf die Berufung des Antragsgegnerin wird das am 11.6.2010 verkündete Urteil des LG Berlin - 27 O 439/09 - geändert:
Die einstweilige Verfügung des LG Berlin vom 21.4.2009 - 27 O 439/09 wird aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
(Ohne Tatbestand, §§ 313a Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO)
Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin hat in der Sache Erfolg. Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch entsprechend §§ 1004 Abs. 1 Satz 2, 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. §§ 22, 23 KUG, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG nicht zu. Die einstweilige Verfügung des LG vom 21.4.2009 war daher aufzuheben und der Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.
I. Die Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen ist nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen (vgl. BGH NJW 2008, 3141; BGH NJW 2009, 1499; BGH NJW 2010, 3025). Danach war die Ausstrahlung der beanstandeten Filmsequenz rechtmäßig. Sie zeigt Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG), deren Veröffentlichung berechtigte Interessen des Antragstellers nicht verletzt hat (§ 23 Abs. 2 KUG).
1. Schon die Beurteilung, ob Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorliegen, erfordert eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Medien aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK andererseits. Der Begriff des Zeitgeschehens umfasst alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Ein Informationsinteresse besteht allerdings nicht schrankenlos, vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Zum Kern der Pressefreiheit gehört es, dass die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses für wert halten und was nicht. Die grundrechtliche Gewährleistung umfasst auch die Abbildung von Personen. Für die Abwägung ist von maßgeblicher Bedeutung, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen oder ob sie - ohne Bezug zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis - lediglich die Neugier der Leser oder Zuschauer nach privaten Angelegenheiten prominenter Personen befriedigen. Der Informationsgehalt einer Bildberichterstattung ist im Gesamtkontext, in den das Personenbildnis gestellt ist, zu ermitteln, insbesondere unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung (BGH NJW 2010, 3025 [3026 m.w.N.]). Bei Fernsehbeiträgen sind die Text- und Bildbeiträge im Gesamtkontext des Beitrags zu würdigen, wobei auch den Besonderheiten einer Fernsehberichterstattung Rechnung zu tragen ist, bei der Wort und Bild einander ergänzen. Mit welchen Bildern und Filmausschnitten ein solcher Beitrag illustriert wird, ist dabei grundsätzlich von den für die Sendung Verantwortlichen zu entscheiden (BGH NJW 2009, 1499 [1501 m.w.N.]).
Nach diesen Maßstäben handelt es sich, wie schon das LG zutreffend ausgeführt hat, bei den Fimaufnahmen um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Der Beitrag der A. vom 14.4.2009 befasst sich mit dem Fortgang des "K.-Prozesses" gegen A. G. sowie mit der Entscheidung des BVerfG vom 3.4.2009 (veröffentlicht in NJW 2009, 2117). Das Verfassungsgericht hatte einem gegen sitzungspolizeiliche Anordnungen des Strafkammervorsitzenden gerichteten Eilantrag der hiesigen Antragstellerin in wesentlichen Punkten stattgegeben. Es war nun möglich, Lichtbild- und Fernsehaufnahmen vom Angeklagten und seinem Verteidiger, dem Antragsteller, zu fertigen.
In dem beanstandeten Beitrag wird ab Minute 1:31 gezeigt, wie der Antragsteller mit den Worten "Keine Aufnahmen habe ich gesagt!" durch eine Glastür im Kriminalgericht M. tritt. Dazu heißt es: "Der Verteidiger des Wirts, hier beim Prozessauftakt im Februar. Er hatte das fragwürdige Drehverbot durchgesetzt. Heute erschien er nicht bei Gericht. Es kam nur seine Kollegin zu dem Verfahren, über das nun weitgehend unbeschränkt berichtet werden darf. Dabei werden - im Gerichtssaal nebeneinander sitzend - der Angeklagte und Frau Rechtsanwältin Dr. S.gezeigt.
Diese Berichterstattung betrifft Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Dazu zählen sowohl das Strafverfahren gegen A. G. als auch die von der Antragsgegnerin erwirkte Entsch...