Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweiskraft der Zustellungsurkunde

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 24.09.2003; Aktenzeichen 10 O 208/03)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der Zivilkammer 10 des LG Berlin vom 24.9.2003 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Berufung vorbehalten bleibt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Wert der Beschwer wird für jede Partei auf 13.008,83 Euro festgesetzt.

 

Gründe

1. Die zulässige Berufung des Beklagten ist insoweit begründet, als das LG den Einspruch des Beklagten gegen den Vollstreckungsbescheid des AG Hagen vom 18.8.1998 (Az.: 98-2261 309-2-5-1) zu Unrecht als verspätet verworfen hat.

Der Einspruch des Beklagten vom 16.4.2003 ist nicht verspätet. Die Einspruchsfrist, die zwei Wochen beträgt (§§ 700 Abs. 1, 339 Abs. 1 ZPO), ist noch nicht in Gang gesetzt worden. Nach §§ 700 Abs. 1, 339 Abs. 1 S. 2 ZPO beginnt der Lauf der Einspruchsfrist erst mit der Zustellung des Vollstreckungsbescheids, woran es fehlt.

Eine wirksame Zustellung ist insb. nicht am 20.8.1998 durch Niederlegung nach §§ 181, 182 ZPO bewirkt worden. Maßgeblich für die Beurteilung sind die §§ 181, 182 ZPO in der zum Niederlegungszeitpunkt geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.).

Die Voraussetzungen der §§ 181, 182 ZPO a.F. liegen nicht vor, weil es an einem vorherigen Zustellungsversuch in der Wohnung des Beklagten fehlt - ein Zustellungsversuch in Geschäftsräumen des Beklagten genügt für eine Zustellung durch Niederlegung dagegen nicht (Zöller/Stöber, ZPO, 21. Aufl., § 182 Rz. 1 m.w.N.)

Entgegen der Ansicht des LG ist im vorliegenden Fall nicht feststellbar, dass es sich bei der Anschrift T.-straße um eine Wohnung des Beklagten gehandelt hat, oder dass er den Anschein erweckt hat, dort eine Wohnung zu unterhalten. Allein auf die Tatsache, dass der Zusteller auf der Zustellungsurkunde vermerkt hat, unter dieser Anschrift einen vergeblichen Zustellungsversuch "in der Wohnung" des Zustellungsadressaten unternommen zu haben, lässt sich dies nicht stützen. Die Beweiskraft der Zustellungsurkunde (§ 418 ZPO) erstreckt sich nicht darauf, dass unter der angegebenen Zustellungsanschrift eine Wohnung des Adressaten existiert (BGH v. 2.10.1991 - IX ZB 5/91, MDR 1992, 515 = NJW 1992, 1239; BGHReport 2001, 481). Dem Kläger, der für den Beginn der Einspruchsfrist und damit auch für die Voraussetzungen des §§ 181, 182 ZPO a.F. einschließlich des Merkmals "Wohnung" beweispflichtig ist (vgl. BGH v. 2.10.1991 - IX ZB 5/91, MDR 1992, 515 = NJW 1992, 1239 m.w.N.), steht mit der Zusteilungsurkunde lediglich ein beweiskräftiges Indiz dafür zur Seite, dass der Zustellungsadressat unter der angegebenen Anschrift auch tatsächlich wohnt (BGH v. 2.10.1991 - IX ZB 5/91, MDR 1992, 515 = NJW 1992, 1239; BGHReport 2001, 481). Nach der Rechtsprechung kann dieses Indiz "dadurch entkräftet werden, dass objektive Umstände oder der Vortrag des Zustellungsempfängers hinreichende Zweifel an der Annahme begründen, die Zustellungsadresse sei seine Wohnung" (BGHReport 2001, 481; v. 2.10.1991 - IX ZB 5/91, MDR 1992, 515 = NJW 1992, 1239). Eines echten Gegenbeweises i.S.v. § 418 Abs. 2 ZPO bedarf es dagegen nicht.

Im vorliegenden Fall ist es dem Beklagten gelungen, sowohl durch seinen Vortrag wie auch die von ihm eingereichten schriftlichen Unterlagen die Indizwirkung, die von der Zustellungsurkunde ausgeht, zu erschüttern. Der Beklagte hat schon erstinstanzlich vorgetragen, unter der Anschrift T.-straße zu keinem Zeitpunkt gewohnt zu haben, dort vielmehr lediglich für wenige Monate als Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft gemeinsam mit seiner ehemaligen Mitgesellschafterin - von Dezember 1996 bis zu seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft im April 1997 - einen Geschäftssitz unterhalten zu haben. Schon damit hat der Beklagte substantiiert dargetan, dass er unter der Zustellungsanschrift keine Wohnung unterhalten hat. Soweit die Rechtsprechung teilweise eine schlüssige und plausible Darstellung verlangt, dass die ursprünglich unter der Zustellanschrift unterhaltene Wohnung aufgegeben und an einem anderen Ort ein Lebensmittelpunkt begründet worden ist (BGHReport 2001, 481 m.w.N. aus der Rspr.), kann dieses Erfordernis auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden. Von einer Partei, die sich wie der Beklagte darauf beruft, niemals unter der Zustellanschrift gewohnt zu haben, kann kein substantiierter Vortrag zur Aufgabe der alten und Einrichtung einer neuen Wohnung verlangt werden. Abgesehen davon, dass schon schlüssiger Vortrag reicht, die Indizwirkung der Zustellungsurkunde zu erschüttern, hat der Beklagte sein Vorbringen außerdem durch schriftliche Unterlagen untermauert. Er hat schon erstinstanzlich die Gewerbeanmeldung, die Gewerbeabmeldung wie auch die Kündigung der BGB-Gesellschaft vorgelegt, in denen die Anschrift T.-straße stets als Geschäftssitz bezeichnet wird, während als Wo...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge