Leitsatz (amtlich)
1. Preisanpassungsklauseln stellen eine Abweichung vom grundlegenden Prinzip der wechselseitigen Zustimmung im Vertragsrecht dar, da sie der Verwenderin einen einseitigen Eingriff in den ausgehandelten Vertrag erlauben. Sie sind gemessen an § 307 Abs. 1 BGB nur dann zulässig, wenn ein berechtigtes Interesse der Verwenderin besteht.
2. An einem berechtigten Interesse fehlt es, wenn das Vertragsverhältnis ohnehin mit kurzer Kündigungsfrist ausgestaltet ist und es der AGB-Verwenderin ohne nennenswerten Aufwand technisch möglich ist, den Kunden bei jeder Nutzung des Dienstes um Zustimmung zu dem geänderten Preis zu ersuchen.
3. Die Unwirksamkeit einer Preisanpassungsklausel ergibt sich darüber hinaus aus § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn die Klausel zwar eine Berechtigung der Verwenderin vorsieht, gestiegene Kosten zum Anlass von Preiserhöhungen zu machen, nicht hingegen die Verpflichtung, nach denselben Maßstäben gesunkene Gesamtkosten zum Anlass für eine Reduzierung des Preises zu nehmen (sog. Gebot der Reziprozität). Dieses Gebot gilt auch bei Verträgen über Streaming-Dienste.
4. Die Möglichkeit, den Vertrag zu kündigen, um die Preiserhöhung zu vermeiden, ist schon im Ansatz ungeeignet, das Fehlen eines berechtigten Interesses oder die mit einem Verstoß gegen das Gebot der Reziprozität verbundene unangemessene Benachteiligung des Kunden zu kompensieren. Der Kunde wird auch mit der Kündigungsmöglichkeit entweder mit einer Preiserhöhung oder aber mit der Mühe, den Vertrag, den er in dieser Form nicht gewollt und nicht abgeschlossen hat, zu beenden, belastet.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 28.06.2022; Aktenzeichen 52 O 296/21) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 28.06.2022, Aktenzeichen 52 O 296/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Berlin sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Im Streit steht die Wirksamkeit der Preisanpassungsklausel der Beklagten in ihren AGB, die der Kläger ... beanstandet.
Die Beklagte mit Sitz in ... betreibt in Deutschland seit 2012 unter der Webseite ... einen Streaming-Dienst für Musik, Videos, Podcasts und sonstige Inhalte, der im Wege von Abonnements vertrieben wird.
Für die von der Beklagten mit ihren Nutzern mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland geschlossenen Verträge verwendet die Beklagte die als Anlage K 3 vorgelegten Allgemeinen Nutzungsbedingungen (im Folgenden: AGB), die gemäß Ziff. 1 für die Dienste "zum Streamen von Musik und sonstigen Inhalten, einschließlich der damit verbundenen Websites und Softwareanwendungen (zusammen die '... -Dienste') sowie der Musik, Videos, Podcasts oder sonstige Inhalte oder Materialien, die durch die ... -Dienste zur Verfügung gestellt werden ('Inhalte')" gelten und die gemäß Ziff. 19 die Geltung deutschen Rechts vorsehen.
In Ziff. 4.3 ist unter der Überschrift "Preisänderungen" folgende Klausel enthalten:
"... kann nach billigem Ermessen die Abonnementgebühren und sonstige Preise ändern, um die gestiegenen Gesamtkosten für die Bereitstellung der ... -Dienste auszugleichen. Für die Berechnung der Gesamtkosten maßgeblich sind beispielsweise die Kosten der Inhalte (Produktions- und Lizenzkosten), Verwaltungskosten, die Kosten der Pflege und des Betriebs unserer IT-Infrastruktur, allgemeine Gemeinkosten (Kosten des Vertriebs und des Marketings, Personalkosten, Miete, externe Dienstleister), sowie Finanzierungskosten, Steuern, Gebühren und sonstige Abgaben. ... ist im Falle einer Änderung der gesetzlichen Umsatzsteuer berechtigt, die Abonnementgebühren entsprechend anzupassen.
... kann etwa eine Preiserhöhung erwägen, wenn z.B. die Kosten für Inhalte, die Kosten für die IT-Infrastruktur von ... und die allgemeinen Gemeinkosten steigen, was zu einer Erhöhung der Gesamtkosten für die Bereitstellung der ... -Dienste führt.
Alle Preisänderungen treten frühestens 30 Tage, nachdem ... Sie benachrichtigt hat, mit Beginn des nächsten Abrechnungszeitraums für Ihr Abonnement in Kraft. Ihr ordentliches Kündigungsrecht gemäß Ziffer 12 bleibt unberührt."
Gemäß Ziff. 12 kann der Vertrag jederzeit mit einer Frist von 14 Tagen zum Monatsende gekündigt werden.
Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat der Klage mit Urteil vom 28.06.2022 stattgegeben und es der Beklagten unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel antragsgemäß untersagt, in Bezug auf Verträge über Streamingdienste die Ziff. 4.3 ihrer AGB oder mit diesen inhaltsgleiche Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, ausgenommen gegenüber einer Person, die in ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt (Unternehmer), zu verwenden sowie sich auf die Klauseln bei der Abwicklung derartiger Verträge zu berufen (Tenor zu 1.). Des Weiteren hat es die Beklagte zur Zahlung vorgerichtlicher Abmahnkosten in Höhe von 242,99 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen verurte...