Leitsatz (amtlich)
1. Preisanpassungsklauseln stellen eine Abweichung vom grundlegenden Prinzip der wechselseitigen Zustimmung im Vertragsrecht dar, da sie der Verwenderin einen einseitigen Eingriff in den ausgehandelten Vertrag erlauben. Sie sind gemessen an § 307 Abs. 1 BGB nur dann zulässig, wenn ein berechtigtes Interesse der Verwenderin besteht.
2. An einem berechtigten Interesse fehlt es, wenn das Vertragsverhältnis ohnehin mit kurzer Kündigungsfrist ausgestaltet ist und es der AGB-Verwenderin ohne nennenswerten Aufwand technisch möglich ist, den Kunden bei jeder Nutzung des Dienstes um Zustimmung zu dem geänderten Preis zu ersuchen.
3. Die Unwirksamkeit einer Preisanpassungsklausel ergibt sich darüber hinaus aus § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn die Klausel zwar eine Berechtigung der Verwenderin vorsieht, gestiegene Kosten zum Anlass von Preiserhöhungen zu machen, nicht hingegen die Verpflichtung, nach denselben Maßstäben gesunkene Gesamtkosten zum Anlass für eine Reduzierung des Preises zu nehmen (sog. Gebot der Reziprozität). Dieses Gebot gilt auch bei Verträgen über Streaming-Dienste.
4. Die Möglichkeit, den Vertrag zu kündigen, um die Preiserhöhung zu vermeiden, ist schon im Ansatz ungeeignet, das Fehlen eines berechtigten Interesses oder die mit einem Verstoß gegen das Gebot der Reziprozität verbundene unangemessene Benachteiligung des Kunden zu kompensieren. Der Kunde wird auch mit der Kündigungsmöglichkeit entweder mit einer Preiserhöhung oder aber mit der Mühe, den Vertrag, den er in dieser Form nicht gewollt und nicht abgeschlossen hat, zu beenden, belastet.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 16.12.2021; Aktenzeichen 52 O 157/21) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16.12.2021, Aktenzeichen 52 O 157/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Berlin sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Im Streit steht die Wirksamkeit der Preisanpassungsklausel der Beklagten in ihren AGB, die der Kläger ... beanstandet. Die Beklagte ist eine Tochter der in ... ansässigen ... Sie betreibt unter anderem in ... den Video-Streamingdienst .... Die von der Beklagten angebotene Dienstleistung wird im Wege von Abonnements vertrieben.
Für die von der Beklagten mit den Nutzern geschlossenen Verträge verwendet die Beklagte Nutzungsbedingungen, die in Ziffer 6.1 grundsätzlich die Anwendbarkeit niederländischen Rechts vorsehen. Gemäß Ziffer 3.4 kann der Nutzer den Vertrag jederzeit kündigen und hat dann bis zum Ende des Abrechnungszeitraums weiterhin die Möglichkeit, die Dienstleistung zu nutzen.
Die streitgegenständliche Ziffer 3.5. der AGB lautet wie folgt:
Änderungen am Preis und Abo-Angebot. Wir sind berechtigt, den Preis unserer Abo-Angebote von Zeit zu Zeit in unserem billigen Ermessen zu ändern, um die Auswirkungen von Änderungen der mit unserem Dienst verbundenen Gesamtkosten widerzuspiegeln. Beispiele für Kostenelemente, die den Preis unserer Abo-Angebote beeinflussen, sind Produktions- und Lizenzkosten, Kosten für die technische Bereitstellung und die Verbreitung unseres Dienstes, Kundendienst und andere Kosten des Verkaufs (z.B. Rechnungsstellung und Bezahlung, Marketing), allgemeine Verwaltungs- und andere Gemeinkosten (z.B. Miete, Zinsen und andere Finanzierungskosten, Kosten für Personal, Dienstleister und Dienstleistungen, IT-Systeme, Energie) sowie staatlich auferlegte Gebühren, Beiträge, Steuern und Abgaben. Alle Preisänderungen gelten frühestens 30 Tage nach Bekanntgabe an Sie. Sie können Ihre Mitgliedschaft jederzeit während der Kündigungsfrist kündigen, um zukünftige Belastungen zu vermeiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten der AGB wird auf die Anlage K 2 verwiesen.
Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat der Klage mit Urteil vom 16.12.2021 stattgegeben und es der Beklagten unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel antragsgemäß untersagt, in Bezug auf Abo-Verträge über Streamingdienste die Ziff. 3.5. ihrer AGB oder mit diesen inhaltsgleiche Klauseln, ausgenommen gegenüber einer Person, die in ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt (Unternehmer), zu verwenden sowie sich bei der Abwicklung derartiger Verträge auf die Klausel zu berufen (Tenor zu 1.). Des Weiteren hat es die Beklagte zur Zahlung vorgerichtlicher Abmahnkosten in Höhe von 200,00 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen verurteilt (Tenor zu 2.). Die Klausel verstoße gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, da bei der kundenfeindlichsten Auslegung ein Verständnis in Betracht komme, nach dem die Beklagte nach freiem, d.h. nicht der Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB unterliegendem Belieben den Preis ändern dürfe. Es fehle aus Sicht eines durchschnittlichen Vertragspartners an der Vereinbarung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB. Überdies verstoße die Klausel gegen das Transparenzgebot des §...