Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 05.12.2012; Aktenzeichen (568) 286 Js 232/11 Ns (71/12))

 

Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 5. Dezember 2012 im Rechtsfolgenausspruch - mit Ausnahme des Ausspruchs über die Einzelgeldstrafe zu Fall 1 (II. 2. d. der Urteilsgründe) - aufgehoben.

2. Im Übrigen werden die Revisionen mit der Maßgabe verworfen, dass der Schuldspruch unter Abänderung des angefochtenen Urteils dahingehend neu gefasst wird, dass die Angeklagte der vorsätzlichen Körperverletzung in zwei Fällen schuldig ist.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten - Jugendrichter - hat die Angeklagte mit Urteil vom 27. April 2012 wegen gefährlicher Körperverletzung "im minder schweren Fall" und vorsätzlicher Körperverletzung verwarnt und die Verhängung einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 40 Euro vorbehalten. Gegen dieses Urteil haben die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt (letztere auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt).

Das Landgericht Berlin - (kleine) Jugendkammer - hat durch das angefochtene Urteil die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen und auf die Berufung der Angeklagten das jugendrichterliche Urteil dahingehend abgeändert, dass diese der gefährlichen Körperverletzung und der vorsätzlichen Körperverletzung schuldig ist, deshalb verwarnt wird und die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen zu je 10 Euro vorbehalten bleibt.

Mit ihrer gegen dieses Urteil fristgerecht eingelegten Revision rügt die Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer auf die Rechtsfolge beschränkten und allein auf die Sachrüge gestützten Revision die Verurteilung zu einer unbedingten Strafe.

Die Rechtsmittel führen zur Abänderung des Schuldspruches und zur teilweisen Aufhebung des Strafausspruches; im Übrigen sind sie erfolglos.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Die unbestrafte Angeklagte ist gelernte Erzieherin und die Tante der geschädigten Kinder V. K. und M. K. Sie erklärte sich in einer familiären Notsituation trotz beengter eigener Wohnverhältnisse auf Bitten des Vaters der Kinder - ihres Bruders - dazu bereit, beide Kinder ab Anfang August 2008 bei sich aufzunehmen, um ihnen eine Heimunterbringung zu ersparen. M. K. litt damals bereits seit Jahren an sogenannten Tics, die sich im Grimassenziehen oder hektischen Kopfbewegungen äußerten. Dabei handelt es sich um Symptome eines "Tourette-Syndroms". Die Angeklagte ließ M. K. zwar nicht psychiatrisch untersuchen, kümmerte sich aber (erstmals) um eine regelmäßige ergotherapeutische Behandlung der Erkrankung. Nach Bekanntwerden der im hiesigen Strafverfahren gegen sie erhobenen Vorwürfe im April 2012 verlor die Angeklagte ihre Arbeit als Erzieherin und ist deshalb arbeitslos. Sie bezieht zurzeit lediglich Krankengeld.

Fall 1:

An einem nicht näher bestimmbaren Tag zwischen Mitte September 2008 und Mitte Juli 2009 schnitt M. K. während einer Busfahrt Grimassen, worauf die Angeklagte von ihrer Tochter hingewiesen wurde. Die Angeklagte reagierte darauf wütend. Dies war Folge der Überlastung mit der Gesamtsituation. Zu Hause angekommen schob sie M. K. eine Cremedose in den Mund, um weitere Grimassen zu unterbinden. Dadurch riss die Lippe des Kindes auf und begann leicht zu bluten, was die Angeklagte zumindest billigend in Kauf genommen hatte. Entweder sie selbst oder M. K. zog die Dose danach wieder zurück. Anschließend trat sie M. K. gegen ein Bein.

Fall 2:

An einem nicht näher bestimmbaren Tag zwischen Mitte September 2008 und Mitte Juli 2009 gab es zum Frühstück auch Tomaten. Da V. K. sich geweigert hatte, die Tomaten zu essen, schlug ihm die Angeklagte zur Strafe mit einem dünnen Holzstock gegen Oberkörper und Schulter, wodurch V. K. Schmerzen erlitt.

II.

1. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft ist die Verfahrensrüge der Angeklagten, mit der sie allgemein die Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) bzw. die fehlerhafte Ablehnung eines (Hilfs-) Beweisantrages (§ 244 Abs. 3 und 4 StPO) rügt, nicht zulässig erhoben; jedenfalls aber ist sie unbegründet.

a) Die Rüge genügt nicht der in § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Form. Der Beschwerdeführer, der eine Verletzung des Verfahrensrechts geltend macht, muss die den Mangel begründenden Tatsachen so vollständig und genau angeben, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen zutreffen (vgl. BVerfGE 112, 185 = NJW 2005, 1999, 2001; BGH, Urteil vom 6. Februar 1980 - 2 StR 729/79 - [juris] = BGHSt 29, 203; Senat, Beschluss vom 20. November 2012 - [4] 121 Ss 245/12 [294/12]).

aa) Dem wird die vorliegende Revisionsbegründu...

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