Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhaltsanspruch eines in einem Heim untergebrachten, volljährigen behinderten Kindes
Leitsatz (amtlich)
1. Die mit einem erhöhten Einsatz für ein behindertes volljähriges Kind verbundene Belastung eines betreuenden Elternteils ist durch eine Veränderung des Verteilungsschlüssels des § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB zu seinen Gunsten abzufangen.
2. Den Stamm ihres Vermögens brauchen unterhaltspflichtige Eltern nicht einzusetzen, weil das Grundvermögen nicht nur der Erhaltung ihres eigenen Lebensstandards dient, sondern auch der Sicherung des Bedarf des volljährigen behinderten Kindes.
3. Bei sehr guten Einkommensverhältnissen unterhaltspflichtiger Eltern ist eine Beschränkung der Inanspruchnahme der Eltern durch den Sozialhilfeträger auf 4/5 der Aufwendungen angemessen.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Urteil vom 08.11.2001; Aktenzeichen 159 F 2177/01) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 8.11.2001 verkündete Urteil des AG Tempelhof-Kreuzberg teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.173,65 Euro (19.897,93 DM) nebst 5,387 % Zinsen seit dem 23.9.1997 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 60 % und die Beklagte 40 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die gem. § 511 ZPO a.F. statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, insb. als form- und fristgerecht i.S.d. §§ 516, 518, 519 ZPO a.F. eingelegt und begründet anzusehen. In der Sache hat sie lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Nur insoweit steht dem Kläger aus übergegangenem Recht gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von Unterhalt für die Zeit vom 27.6.1993 bis zum 30.6.1995 zu.
Der Tochter ... der Beklagten stand dem Grunde nach ein Unterhaltsanspruch gegen die Beklagte aus §§ 1601, 1602 Abs. 1 BGB zu, weil sie aufgrund ihrer Behinderung nicht in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten. Dabei ist davon auszugehen, dass sich der Bedarf der Tochter der Beklagten in der hier streitigen Zeit der Heimunterbringung nach den durch die Unterbringung entstandenen Kosten richtet. Zwar richtet sich der Bedarf volljähriger, nicht im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils lebender und sich nicht mehr in der allgemeinen Schulausbildung befindender Kinder gem. der Nr. 17 der Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate des KG grundsätzlich nach einem bestimmten Regelsatz. Dieser Regelbedarfssatz gilt bei einem volljährigen Kind vor allem, wenn und soweit es noch ausgebildet wird oder es sich noch einer Ausbildung unterziehen will. Er passt aber nicht oder allenfalls bedingt auf volljährige Kinder, die z.B. wegen einer Behinderung geistiger oder körperlicher Art eine Ausbildung nicht absolvieren können. Hier wird vielfach eine konkrete Bemessung des Bedarfs angebracht sein. Bei einer Heimunterbringung richtet sich der Bedarf allgemein nach den durch diese anfallenden Kosten (OLG Oldenburg v. 28.9.1995 - 14 UF 50/95, FamRZ 1996, 625 [626]; vgl. auch Wendl/Staudigl, Der Unterhaltsanspruch in der familienrichterlichen Praxis, 5. Aufl., § 2 Rz. 44, 405). Die Beklagte kann insofern auch nicht damit gehört werden, dass der vereinbarte Tagessatz etwa zu hoch gewesen sei oder bei der Abrechnung der Heimkosten die von ihrer Tochter in ihrem Haushalt und nicht im Heim verbrachten Wochenenden oder Krankenzeiten unberücksichtigt geblieben sind. Denn in dem von der Beklagten mitunterschriebenen Heimvertrag ist ein Tagessatz von 200 DM ausdrücklich vereinbart worden. Der Heimvertrag enthält auch keine sonst übliche Regelung, wonach etwa bei Nichtinanspruchnahme von Mahlzeiten eine Vergütung zu erfolgen hat. Hierauf hätte die Beklagte aber hinwirken müssen, wenn sie der Ansicht ist, dass dies bei der Abrechnung habe berücksichtigt werden müssen. Soweit die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass der Heimträger ab einer Abwesenheit ihrer Tochter über einen Zeitraum von mindestens drei Tagen diese dem Bezirksamt habe melden müssen, was nicht geschehen sei, ergibt sich hieraus mangels einer Regelung im Heimvertrag nicht bereits ein Anspruch auf Minderung der Unterbringungsvergütung.
Für den unterhaltsrechtlichen Bedarf ihrer Tochter hat die Beklagte allerdings nicht allein, sondern neben ihrem inzwischen geschiedenen Ehemann, dem Vater von ..., einzustehen. Grundsätzlich sind bei Volljährigen beide Eltern barunterhaltspflichtig. Lebt ein volljähriges Kind nicht mehr im Elternhaus und haben die Eltern eine wirksame Bestimmung nach § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB nicht getroffen, so haften beide Eltern entsprechend ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen auf...