Leitsatz (amtlich)

1. Der Vollzug der Strafhaft unter täglichem Einschluss von 23 Stunden ohne Ausbildungs- oder Arbeitsmöglichkeiten, ohne Gruppenangebote im weiteren Sinne und ohne jeden sozialen Austausch widerspricht den gesetzlichen Vollzugszielen in eklatanter Weise und verhindert jede Form der Resozialisierung. Er verletzt den Gefangenen in seiner Menschenwürde und macht ihn zum Objekt staatlichen Handelns.

2. Eine allgemein praktizierte Gestaltung des Einschlusses kann nicht durch eine im Einzelfall bestehende Sicherungsverfügung gerechtfertigt werden, insbesondere wenn nicht Inhalt der Sicherungsverfügung explizit der Einschluss für 23 Stunden ist.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 25.04.2013; Aktenzeichen 86 O 152/12)

 

Tenor

Auf die Berufungen beider Parteien wird das Urteil des LG Berlin vom 25.4.2013 - Az. 86. O. 152/12 - dahingehend abgeändert, dass der Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 900 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.9.2012 zu zahlen, und die Klage im Übrigen abgewiesen wird.

Die Berufungen beider Parteien werden im Übrigen zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits fallen dem Kläger zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung der anderen Partei durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor die jeweils andere Partei Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils von ihr beizutreibenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von dem Beklagten Geldentschädigung für immaterielle Schäden wegen der seiner Ansicht nach menschenunwürdigen Unterbringung in den Justizvollzugsanstalten M.(Teilanstalt I) und T.(Teilanstalt I) des Beklagten.

Wegen des Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen und darüber hinaus Folgendes ergänzt: Die Umschlussregelung in der Teilanstalt I der Justizvollzugsanstalt M.war dergestalt geregelt, dass die Gefangenen einem 23-stündigen Einschluss unterworfen waren (vgl. tabellarischen Übersicht über die "zeitliche Ausgestaltung der Umschlussregelung in der TA I (ab 27.7.2007)"). Aufgrund der Sicherungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 13.3.2006 - durch richterlichen Beschluss vom 23.3.2006 bestätigt - war der Kläger bis zum 7.1.2010 Beschränkungen wie Einzelunterbringung in einem zum Innenhof gelegenen Haftraum, Tatgenossentrennung, Einzelfreistunde, Verbot der Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen sowie am Um- und Aufschluss bzw. Gesprächen im Gruppen- und Beratungszentrum, Verbot der Arbeit außerhalb des Haftraumes unterworfen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die in Kopie bei den Akten befindliche Sicherungsverfügung vom 13.3.2006 Bezug genommen.

Nach seiner Verlegung in die Justizvollzugsanstalt T., Teilanstalt I, am 6.4.2010 wies die zuständige Gruppenleiterin, Frau T., den Kläger im Rahmen des Zugangsgespräches am 12.4.2010 darauf hin, dass die Unterbringungszeit in dem 5,3 m2 großen Haftraum eine Zeitspanne von drei Monaten keineswegs überschreiten werde. Während seiner Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt T.war der Kläger täglich zwischen 13 Stunden 35 Minuten wochentags und 18 Stunden 50 Minuten (sonn- und feiertags) unter Verschluss. Während der Aufschlusszeiten gab es zahlreiche Freizeit- und Bildungsangebote sowie die Möglichkeit des Hofganges.

Das LG hat dem Kläger für die Dauer seiner Unterbringung in der Teilanstalt I der Justizvollzugsanstalt T..für den Zeitraum vom 6.4.2010 bis 4.6.2010 eine Entschädigung i.H.v. 2.360 EUR zugesprochen.

Beide Parteien haben Berufung eingelegt.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine schon erstinstanzlich geltend gemachte Klageforderung weiter (für insgesamt 1.481 Tage in der Justizvollzugsanstalt M.je 25 EUR, Summe 37.025 EUR), wobei er jedoch die Höhe der für die Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt T.zugesprochenen Entschädigung nicht angreift.

Er behauptet: Er habe zahlreiche Verlegungsanträge gestellt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des LG Berlin vom 25.4.2013 aufzuheben, soweit hierdurch die Klage abgewiesen wurde, und den Beklagten weiter zu verurteilen, an ihn eine angemessene Entschädigung in Geld nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen, wobei die Höhe der weiteren Entschädigung mit einem Vorschlag von 37.025 EUR in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen sowie unter Abänderung des am 25.4.2013 verkündeten Urteils des LG Berlin - Geschäftsnummer 86. O. 152/12 - die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte strebt mit seiner Berufung die Abweisung der Klage auch insoweit an, als ihr das LG stattgegeben hat, und greift auch die Höhe der zugesprochenen Entschädigung an.

Der Beklagte behauptet: Hätte der Kläger nach dem 5.11.2009 mit Nachdruck Verlegungsanträge gestellt, wär...

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