Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung und Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO in Arzthaftungsprozess
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen kann nur unter den Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs zurückgewiesen werden; es kommt nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ein solcher von der Partei nachvollziehbar dargetan wird.
2. Eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist nicht nur auf krasse Ausnahmefälle beschränkt. Im Arzthaftungsprozess wird in der Regel das Erfordernis einer umfangreichen oder aufwendigen Beweisaufnahme i.S.v. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO anzunehmen sein.
Normenkette
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 11.05.2005; Aktenzeichen 6 O 193/04) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 11.5.2005 verkündete Urteil der Zivilkammer 6 des LG Berlin - 6 O 193/04 - aufgehoben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das LG zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von der Beklagten Schmerzensgeld von mindestens 20.000 EUR, Schadenersatz von 151,33 EUR (Medikamentenzuzahlung) sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für zukünftige materielle und immaterielle Schäden. Er wirft der Beklagten vor, deren Ärzte hätten anlässlich seines Aufenthaltes im Krankenhaus der Beklagten in der Zeit vom 28.3. bis zum 26.4.2003 die gebotene Thromboseprophylaxe unterlassen, weshalb er eine tiefe Beinvenenthrombose links erlitten habe.
Wegen des Parteivorbringens erster Instanz, der dort durchgeführten Beweisaufnahme und gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das LG hat durch am 11.5.2005 verkündetes Urteil die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Mit seiner rechtzeitigen Berufung macht der Kläger geltend, das LG habe auf seine Anträge den Sachverständigen zur Anhörung laden und ein weiteres (Ober-) Gutachten einholen müssen. Ferner führt er u.a. zu dem Gutachten aus, dass nicht nur ein mittleres, sondern ein hohes Thromboserisiko bestanden habe und es auch asymptomatische Thrombosen gebe, weshalb der Zeitpunkt des Eintritts einer Thrombose erst am 12./13.5. nicht sicher sei. Die Nichtdurchführung der Prophylaxe sei grob fehlerhaft.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des Urteils des LG Berlin vom 11.5.2005 - Az. 6 O 193/04 -
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß BGB ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle nach der letzten mündlichen Verhandlung entstehenden materiellen und immateriellen Schäden, die auf die Fehlbehandlung durch die Beklagte zurückzuführen sind, zu ersetzen.
3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 151,33 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß BGB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
hilfsweise, Aufhebung und Zurückverweisung.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint sinngemäß, ihre Ärzte hätten durch den Verzicht auf jegliche Thromboseprophylaxe bei dem gegebenen mittleren Thromboserisiko nicht gegen gesicherte medizinische Erkenntnis verstoßen und daher nicht behandlungsfehlerhaft gehandelt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung ist mit der Maßgabe begründet, dass auf Antrag des Klägers gem. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die angefochtene Entscheidung aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und erneuten Entscheidung an das LG zurückzuverweisen war, weil das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet (1.) und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche (oder aufwendige) Beweisaufnahme notwendig ist (2. und 3.).
1. Das LG hat - was regelmäßig einen wesentlichen Verfahrensmangel begründet - gegen das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verstoßen, indem es dem Antrag des Klägers auf Anhörung des Sachverständigen nicht stattgegeben hat. Eine Begründung hierfür lässt sich bereits dem Urteil nicht entnehmen, vielmehr wird der Antrag dort nicht gewürdigt. An seinem Antrag hatte der Kläger trotz der Ausführungen des LG mit Verfügung vom 5.1.2005 jedoch ausdrücklich festgehalten (Schriftsätze vom 20.1. und 4.3.2005). Die in der - insoweit nicht maßgeblichen (die Begründung hat im Urteil stattzufinden) - Verfügung geäußerte Annahme, die Einwendungen seien nicht entscheidungserheblich, war zudem unzutreffend, denn es waren gerade die entscheidungserheblichen Einzelheiten von den Einwendungen betroffen, sodass die Einwendungen nicht vorab - wie dort geschehen - zu würdigen waren. Insbesondere hatte der Kläger sinngemäß darauf hingewiesen, dass zum Unterlassen der risikofreien physikalischen Prop...