Leitsatz (amtlich)
Weicht ein Sachverständiger bei seiner Anhörung von einer in seinem schriftlichen Gutachten vertretenen Auffassung ab, weil er aufgrund der Argumentation in der Stellungnahme einer Partei oder eines von einer Partei vorgelegten Gutachtens zu einer anderen Einschätzung kommt, ergeben sich daraus keine Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen.
Normenkette
ZPO §§ 286, 522 Abs. 2, § 412
Verfahrensgang
LG Kempten (Urteil vom 24.06.2015; Aktenzeichen 12 O 409/14) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des LG Kempten (Allgäu) vom 24.06.2015, Az. 12 O 409/14, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für beide Instanzen auf 25.607,48 EUR festzusetzen.
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.
Gründe
I. Der am 04.11.1971 geborene Kläger war am 13.03.2012 im MVZ I. von Dr. M. ambulant am rechten Knie operiert worden. Es wurde eine Kniegelenksarthroskopie mit Innenmeniskusteilresektion und Mikrofrakturierung des Patellagleitlagers bei ausgestanztem Knorpelschaden durchgeführt. Nach der Operation erhielt der Kläger eine Mecron-Schiene zur Ruhigstellung des Kniegelenks, die er vier Wochen lang tragen sollte; in dieser Zeit sollte nur eine Teilbelastung des operierten Kniegelenks erfolgen. Zur Thromboseprophylaxe erhielt der Kläger ein Rezept über 10 Fertigspritzen Clexane 40 mg. Ab dem 21.03.2012 begab sich der Kläger zur Weiterbehandlung zum Beklagten, seinem Hausarzt, der zur weiteren Thromboseprophylaxe 10 Fertigspritzen Clexane 20 mg und am 02.04.2012 nochmals 20 Fertigspritzen Clexane 20 mg verschrieb. Am 15.04.2012 musste sich der Kläger wegen einer Lungenembolie in das Krankenhaus K. begeben, wo er bis 19.04.2012 stationär behandelt wurde; Ursache war eine tiefe Beinvenenthrombose rechts.
Der Kläger fordert vom Beklagten Schmerzensgeld, den Ersatz eines materiellen Schadens in Höhe von 3.607,48 EUR sowie die Feststellung der Ersatzpflicht weiterer materieller und immaterieller Schäden. Er wirft dem Beklagten vor, er habe einen groben Behandlungsfehler begangen, indem er ohne eigene diagnostische Maßnahmen die Thromboseprophylaxe von Clexane 40 mg auf Clexane 20 mg reduziert habe, und dadurch die tiefe Beinvenenthrombose verursacht. Dies stützt er auf ein Gutachten der Chirurgin Dr. Bu. vom MDK Bayern vom 11.07.2013 (Anlage K3). Der Beklagte bestreitet einen Behandlungsfehler, den Kausalzusammenhang sowie die behaupteten Schäden.
Das LG hat ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen Dr. Br., eines Facharztes für Allgemeinmedizin, vom 28.10.2014 eingeholt (Bl. 43/44 d.A.), das zum Ergebnis kommt, dass beim Kläger nach den Leitlinien AWMF-S3 "Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE)" von einem hohen Thromboserisiko auszugehen sei und damit Clexane 40 mg indiziert gewesen sei. Durch diese Dosierung wäre eine Thrombose mit hoher Wahrscheinlichkeit, aber nicht mit Sicherheit, vermieden worden.
Mit Schriftsatz vom 06.02.2015 erhob der Beklagte Einwände gegen das Gutachten und legte ein Privatgutachten der Leiterin der Arbeitsgruppe für Blutgerinnung und Thromboseforschung an der TU München, Prof. Dr. H., vom 27.01.2015 (Bl. 61/69 d.A.) vor, das zum Ergebnis kommt, dass beim Kläger ein Fall eines mittleren Thromboserisikos vorgelegen habe und die Verordnung von Clexane 20 mg leitliniengerecht gewesen sei und ein Kausalzusammenhang mit der erst fünf Wochen nach dem operativen Eingriff aufgetretenen Thrombose zu verneinen sei.
In der mündlichen Verhandlung vor der Zivilkammer wurde der Sachverständige Dr. Br. angehört. Er verneinte nunmehr einen Verstoß gegen den Facharztstandard. Es habe kein hohes, sondern nur ein erhöhtes Thromboserisiko vorgelegen. Auch im Fall einer höheren Dosis bestehe eine geringe Wahrscheinlichkeit einer Thrombose.
Das LG Kempten hat sodann die Klage nach ausführlicher Auseinandersetzung mit den widerstreitenden Gutachten abgewiesen, da ein Behandlungsfehler nicht vorliege und zudem ein Anspruch am fehlenden Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität scheitere.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er seine Anträge aus der 1. Instanz weiter verfolgt. Er beantragt - wie bereits im innerhalb einer Schriftsatzfrist zur Stellungnahme zur Beweisaufnahme vorgelegten Schriftsatz vom 18.06.2015 - die Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 412 ZPO. Das schriftliche und das mündliche Gutachten des Sachverständigen Dr. Br. seien widersprüchlich. Er gehe von falschen Anknüpfungstatsachen aus und sei erkennbar nicht sachkundig. Das LG habe quasi das Parteigutachten von Prof. Dr. H. zum gerichtlichen Gutachten erhoben und darauf seine Überzeugung gestützt.
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Das Urteil weist weder Rechtsfehler auf noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Feststellungen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
Das LG geht mit Recht davon aus, dass den Kläger als Anspruchsteller die Beweislast sowohl für den von ihm ...