Entscheidungsstichwort (Thema)
Medizinischer Standard bei Thromboseprophylaxe bei Knie-OP; Aufklärung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine der Fachinformation des Herstellers widersprechende Verordnung oder Verabreichung von Medikamenten zur Thromboseprophylaxe erlaubt nicht den Schluss auf die Verletzung des fachärztlichen Standards.
2. Es gibt keinen medizinischen Standard, der eine prophylaktische postoperative Kontrolle der Thrombozytenwerte vorschreibt, solange kein Verdacht auf eine sich entwickelnde Thrombose besteht.
3. Im Rahmen der Risikoaufklärung vor einer Knie-Operation (Arthrospkopie) genügt es, wenn der Arzt sich auf die bloße Benennung der Risiken "Thrombose" und "Embolie" beschränkt. Dies gilt jedenfalls bei einem Patienten (hier Rechtsanwalt), bei dem ein gewisses medizinisches Allgemeinwissen oder im Fall der Unkenntnis der Begriffe der Mut zum Nachfragen unterstellt werden kann.
4. Eine Risikoaufklärung vor einer Knie-Arthroskopie, die am frühen Nachmittag vor der am nächsten Vormittag stattfindenden Operation erfolgt, ist rechtzeitig.
Normenkette
BGB §§ 249, 253, 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 22.04.2015; Aktenzeichen 25 O 312/09) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Köln vom 22.04.2015 - 25 O 312/99 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der am 18.00.1949 geborene Kläger, von Beruf Rechtsanwalt, begab sich im November 2005 wegen Beschwerden im linken Knie in die medizinische Behandlung des Beklagten, der als niedergelassener Orthopäde in einer Praxisgemeinschaft in der Klink "J" tätig ist. Der Beklagte führte am 08.12.2005 in seiner Praxis eine Arthroskopie des linken Kniegelenks mit u.a. partieller Synovektomie, Hoffaektomie und Innen- und Außenmeniskusteilresektion durch. Der Kläger wurde nach kurzem stationärem Aufenthalt am 11.12.2005 entlassen. Zur Thromboseprophylaxe wurden ihm Heparin (Fraxiparin), Kompressionsstrümpfe und Physiotherapie verordnet. Am 30.12.2005 wurde der Kläger mit Fieber, Schmerzen und geschwollenem linken Bein in das St. Whospital eingeliefert. Dort wurde die Diagnose einer submassiven Lungenembolie nach Bein- und Beckenvenenthrombose gestellt. Der Kläger wurde am 11.01.2006 aus dem Krankenhaus entlassen. Er muss seither regelmäßig das Medikament Marcumar zur Blutverdünnung einnehmen.
Der Kläger hat dem Beklagten Behandlungsfehler vorgeworfen. Er hat behauptet, der arthroskopische Eingriff sei nicht indiziert gewesen und im Übrigen auch nicht lege artis durchgeführt worden. Die nach dem Eingriff verordnete Heparindosis sei zu niedrig gewesen. Das Entstehen der Thrombose habe durch den Beklagten im Rahmen der Nachsorgeuntersuchungen erkannt werden müssen. Der Beklagte habe die Gerinnungsparameter überprüfen müssen. Der Kläger hat die Aufklärungsrüge erhoben. Er hat behauptet, die Kniebeschwerden hätten sich seit der Operation verschlimmert. Er könne nur noch unter Schmerzen humpeln.
Der Kläger hat beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Festlegung der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 08.11.2008, hilfsweise seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche zukünftigen materiellen Schadensersatzansprüche auszugleichen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat Behandlungsfehler bestritten. Er hat behauptet, der Kläger sei vor der Operation umfassend aufgeklärt worden. Hilfsweise hat er den Einwand der hypothetischen Einwilligung erhoben.
Wegen der Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Parteien und der tatsächlichen Feststellungen des LG wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 580 ff d.A.) Bezug genommen.
Das LG hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens durch Prof. Dr. L (schriftliches Gutachten, eingegangen bei Gericht am 18.07.2012, Bl. 285 ff d.A.) und durch Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. L und Dr. E in der mündlichen Verhandlung (vgl. Sitzungsprotokoll vom 04.03.2015, Bl. 532 ff d.A.). Anschließend hat das LG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe nach dem Ergebnis des eingeholten Sachverständigengutachtens Behandlungsfehler nicht bewiesen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. L sei die Kniegelenksarthroskopie indiziert gewesen und lege artis durchgeführt worden. Bei der postoperativen Nachsorge sei ebenfalls entsprechend den Regeln ärztlicher Kunst vorgegangen worden. Eine Haftung sei auch nicht aufgrund der Aufklärungsrüge des Klägers begründet. Aus der Anhörung des Klägers selbst habe sich zur Überzeugung der Kammer ergeben, dass er vor dem Eingriff hinreichen...