Leitsatz (amtlich)
1. Ein über akute Brustschmerzen klagender Patient muss, sofern die Schmerzen nicht offensichtlich eine herzfremde Ursache haben, einer notärztlichen Abklärung zugeführt werden.
2. Es übersteigt die Kompetenz eines Rettungssanitäters, unklare Brustschmerzen diagnostisch einem herzfremden Krankheitsbild zuzuordnen.
3. Nimmt ein Rettungssanitäter pflichtwidrig eine entsprechende Einordnung vor, wird er im Kompetenzbereich des Arztes tätig, was eine Anwendung der zur Arzthaftung entwickelten Beweislastregeln im Rahmen des Amtshaftungsanspruchs gestattet (Abgrenzung zu OLG Köln, Urteil vom 22.08.2007 - 5 U 267/06).
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 07.05.2015; Aktenzeichen 86 O 218/13) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 7.5.2015 verkündete Urteil des LG Berlin - 86 O 218/13 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist, ebenso wie das angefochtene, vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von dem Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit einer von zwei Rettungsassistenten durchgeführten Behandlung. Nachdem er in den frühen Morgenstunden (kurz vor 7:00 Uhr) des 1.9.2010 die Berliner Feuerwehr wegen erheblicher Atembeschwerden und Schmerzen im Brustbereich alarmiert hatte, wurde er von zwei Rettungsassistenten, den Zeugen F.und K., aufgesucht. Welche Angaben er diesen gegenüber machte, steht zwischen den Parteien im Streit. Unstreitig stellten die Rettungsassistenten aber die Pulsfrequenz, den Blutdruck und die Sauerstoffsättigung fest. Zudem hielten sie im Einsatzbericht fest, dass der Kläger über einen "atem- und bewegungsabhängigen Intercostalschmerz" geklagt hätte; ferner dass die "Pulmo" des Klägers "beidseits gut belüftet" und frei von "RGS" sei. Im Ergebnis beließen die Zeugen F.und K.den Kläger zu Hause und verwiesen ihn an seinen Hausarzt. Diesen suchte der Kläger wenige Stunden später auf und wurde von dort aus wegen des Verdachts auf einen Herzinfarkt in das S.-Krankenhaus ...eingeliefert, wo entsprechendes diagnostiziert wurde. Außerdem erlitt der Kläger während einer sodann durchgeführten Herzkatheteruntersuchung einen Schlaganfall. Es mussten mehrere Stents gesetzt werden.
Im Übrigen wird wegen der tatsächlichen Feststellungen und der erstinstanzlichen Anträge auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das LG hat Beweis durch Vernehmung der beiden Rettungsassistenten, durch Anhörung des Klägers (§ 141 ZPO) sowie durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens erhoben und sodann der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Lediglich soweit der Kläger ein über den zuerkannten Betrag hinausgehendes Schmerzensgeld von weiteren 10.000,- EUR begehrt hatte, hat das LG die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt es aus, dass es angesichts der vom Kläger geschilderten Symptome - die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in erster Linie in Atemnot und Schmerzen im Bereich des Brustkorbes sowie des Rückens bestanden - zwingend angezeigt gewesen wäre, die Ursache der Beschwerden medizinisch abklären zu lassen, insbesondere einen etwaigen Herzinfarkt auszuschließen, wozu es den Rettungsassistenten aber bereits an eigener Sachkunde gefehlt habe. Ohnehin ergebe sich die Pflicht zur Verständigung eines Notarztes oder zum Transport in ein Krankenhaus unabhängig davon bereits aus § 2 Abs. 3 BlnRDG (Berliner Rettungsdienstgesetz). Die verspätete Einlieferung des Klägers habe zu einem teilweisen Absterben von Herzmuskelgewebe geführt sowie im Weiteren zur Herausbildung einer Herzinsuffizienz. Die damit verbundenen Folgen seien letztlich auch für eine Verstärkung einer chronisch depressiven Verstimmung des Klägers ursächlich.
Dem tritt der Beklagte mit seiner Berufung entgegen. Er meint, die vom LG vorgenommene Würdigung der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen F.und K.sowie durch Anhörung des Klägers sei fehlerhaft. Insbesondere habe das LG nicht von den geschilderten Symptombeschreibungen des Klägers ausgehen dürfen. Auch habe die Beweisaufnahme nicht ergeben, dass der Kläger als Notfallpatient im Sinne des § 2 BlnRDG anzusehen gewesen wäre. Fehlerhaft sei es auch, wenn das LG eine etwaige Amtspflichtverletzung als für die heute bei dem Kläger bestehenden Beeinträchtigungen kausal ansehe. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass der Infarkt zum Zeitpunkt der Alarmierung bereits stattgefunden hatte und eine vermeintliche Verschlimmerung (Zurückbleiben einer Narbe und Herausbildung einer Herzinsuffizienz) nicht von den Feststellungen des medizinischen Gutachtens gedeckt werde. Schließlich sei das zuerkannte Schmerzensgeld auch der Höhe nach nicht gerechtfertigt.
Der Beklagte beantragt daher, unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Kläger mit der Klage abzuweisen.
Der Kläger be...