Leitsatz (amtlich)

Wird die höchstzulässige Geschwindigkeit um mehr als das Doppelte überschritten und liegt die Geschwindigkeit innerorts absolut über 100 km/h, ist ein besonders schwerer Verkehrsverstoß gegeben, der in der Regel zu einer Alleinhaftung führt, auch wenn der Handelnde an sich die Vorfahrt hat.

 

Normenkette

StVG § 17 Abs. 1-2; StVO § 3 Abs. 3 Nr. 1, § 8 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 41 O 155/16)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 22. Mai 2018 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin, Az.: 41 O 155/16, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Der Kläger begehrt Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall vom 28. Oktober 2015 auf der Kreuzung Bahnhofstraße/Berliner Straße/Pasewalker Straße/Rosenthaler Straße in Berlin, wo der Kläger in nördlicher Richtung fahrend und aus der Pasewalker Straße kommend mit dem Kraftfahrzeug Typ Opel Corsa, amtliches Kennzeichen B ... in die Kreuzung einfuhr und dort mit der rechten Seite des aus der Berliner Straße in südlicher Richtung kommenden, nach links in die Bahnhofstraße abbiegenden, von der Beklagten zu 1) geführten und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Kraftfahrzeug Typ Mercedes-Benz, amtliches Kennzeichen B ... kollidierte.

Der Kläger erlitt infolgedessen eine HWS-Distorsion, ein stumpfes Thoraxtrauma, ein stumpfes Bauchtrauma und eine Femurschaftsfraktur links mit Weichteilschaden ersten Grades und befand sich deshalb vom 28. Oktober 2015 bis zum 06. November 2015 in stationärer Behandlung.

Wegen des Parteivorbringens erster Instanz, der dort durchgeführten Beweisaufnahme und gestellten Anträge wird im Übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen V ... O ... Z ... und B ... C ... L ... und durch Einholung des schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dr. sc. Techn. A ... S ... vom 19. Oktober 2017. Dieses Unfallrekonstruktionsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass sich das Klägerfahrzeug im Kollisionszeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von 85 km/h bis 105 km/h bewegt habe, während das Beklagtenfahrzeug zu diesem Zeitpunkt mit etwa 5 km/h bis 10 km/h gefahren sei. Der Kläger habe sich der Unfallstelle zuvor mit mindestens 103 km/h genähert, bevor er 44 m und 1,6s vor der Kollision das Beklagtenfahrzeug als gefahrdrohend erkannt habe. Bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h sei die Kollision für den Kläger mit hoher Sicherheit räumlich und wahrscheinlich auch zeitlich vermeidbar gewesen.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Mai 2018 abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 29. Mai 2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. Juni 2018 Berufung eingelegt und begründet.

Der Kläger verfolgt mit seiner Berufung seine Ansprüche nur noch nach einer Haftungsquote von 33% weiter. Er meint, das Landgericht habe die Verursachungsanteile im Rahmen der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung unzutreffend gewürdigt und das grobe Verschulden der Beklagten zu Unrecht hinter dem Verkehrsverstoß des Klägers zurücktreten lassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens im Berufungsverfahren und der gestellten Anträge wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingelegte (§§ 511 ff. ZPO) Berufung ist unbegründet.

Eine Berufung kann nach § 513 ZPO nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer fehlerhaften Anwendung oder der Nichtanwendung einer Rechtsnorm beruht oder die nach § 529 ZPO der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Unter Anwendung dieses Maßstabs hat die Berufung des Klägers auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens keinen Erfolg.

Das angefochtene Urteil hält den Berufungsangriffen stand. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Verkehrsunfall weder durch höhere Gewalt (§ 7 Abs. 2 StVG) verursacht wurde, noch für eine der Parteien unabwendbar (§ 17 Abs. 3 StVG) war.

Das Landgericht hat ebenfalls zutreffend erkannt, dass der Beklagten zu 1) ein Verstoß gegen § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO und dem Kläger ein Verstoß gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO unfallverursachend vorzuwerfen war.

a) Dabei folgt der Senat allerdings der landgerichtlichen Auffassung, der gegen die Beklagten zu 1) als Linksabbiegende streitende Anscheinsbeweis sei erschüttert, nicht.

Nach § 9 Abs. 3 Satz 3 StVO muss, wer links abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Wenn der Linksabbieger der hiernach bestehenden Wartepflicht nicht genügt und es deshalb zu einem Unfall kommt, spricht ein Anscheinsbeweis für das Verschulden des Abbiegenden (BGH, Urteil vom 13. Februar 200...

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