Leitsatz (amtlich)
1. Zum Schmerzensgeldanspruch einer durch einen Verkehrsunfall schwerverletzten Schülerin, die u.a. ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und eine Oberarmfraktur mit der Folge eines posttraumatischen Psychosyndroms mit kognitiven Defiziten, Verhaltensauffälligkeiten und Wesensveränderungen, ein chronisches Schmerzsyndrom und hochgradigen Funktionseinschränkungen des linken Arms erlitten hat (300.000 EUR).
2. Zur Feststellung des Verdienstausfallschadens einer schwerverletzten Schülerin (nicht mögliches Studium der Medizin).
3. Einem Kind steht kein Haushaltsführungsschaden zu, soweit es unfallbedingt zu einer Mithilfe im Haushalt im Interesse der übrigen Familienangehörigen nicht mehr in der Lage ist.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 27.08.2019; Aktenzeichen 45 O 143/17) |
Tenor
Das am 27. August 2019 verkündete Urteil der Zivilkammer 45 des Landgerichts Berlin wird teilweise abgeändert und unter Zurückweisung der jeweiligen Rechtsmittel der Parteien im Übrigen wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von weiteren 200.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. März 2016 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 38.604,81 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Mai 2016 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab 1. April 2019 eine vierteljährlich im Voraus zu leistende Pflegeschadensrente in Höhe von 1.495,30 EUR jeweils zum 1. Januar, 1. April, 1. Juli und 1. Oktober eines jeden Jahres zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab dem 1. April 2019 eine vierteljährlich im Voraus zu leistenden Rente für unfallbedingte Zusatzkosten bei Medikamenten und unfallbedingten Fahrkostenmehrbedarf in Höhe von 908,04 EUR jeweils zum 1. Januar, 1. April, 1. Juli und 1. Oktober eines jeden Jahres zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 1. Januar 2024 ihre Erwerbsschäden auf Basis des Berufsbildes einer Assistenzärztin und ab dem 1. Januar 2030 auf Basis des Berufsbildes einer Funktionsoberärztin (Facharzt) nach dem Tarifvertrag für Ärzte und Ärztinnen an kommunalen Krankenhäusern im öffentlichen Dienst (TV - Ärzte VKA) zu ersetzen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits der ersten Instanz haben die Klägerin 1/7 und die Beklagte 6/7 zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin zu 1/4 und die Beklagte zu 3/4 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 700.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die am 21.10.1998 geborene Klägerin macht gegen die Beklagte Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche auf Grund eines Unfalls vom 14.01.2016 geltend, den sie als Fahrerin eines Leichtkraftrads erlitt. Der Verschuldensanteil des Fahrers des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs und die Haftung der Beklagten zu 100 % dem Grunde nach sind unstreitig.
Die Klägerin erlitt bei dem Unfall schwerste Verletzungen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Die Beklagte hat vorprozessual 50.000 EUR und im Laufe des Prozesses weitere 50.000 EUR Schmerzensgeldzahlungen an die Klägerin geleistet.
Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben.
Es hat ein Schmerzensgeld in Höhe von 250.000 EUR für angemessen gehalten und die Beklagte zur Zahlung von weiteren 150.000 EUR Schmerzensgeld verurteilt.
Des Weiteren hat das Landgericht die Auffassung vertreten, dass auch einem im elterlichen Haushalt lebenden Kind grundsätzlich ein Haushaltsführungsschaden entstehen kann. Als Stundensatz hat es einen Betrag in Höhe von 8 EUR für angemessen gehalten.
Beim Anspruch auf Ersatz eines Pflegeschadens hat das Landgericht lediglich einen Aufwand in Höhe von 20 Wochenstunden für schlüssig erachtet, der sich aus den eigenen Angaben der Eltern gegenüber dem MDK ergebe. Insoweit sei ein Stundensatz in Höhe von 9 EUR als angemessen zu betrachten, dieser richte sich nach dem Nettolohn einer vergleichbaren entgeltlich eingesetzten Pflegekraft.
Auch die Erstattung der Fahrkosten hat das Landgericht grundsätzlich als erstattungsfähig angesehen, jedoch nur die Fahrten zum Psychologen, zur Handspezialistin beim UKB und zum Hausarzt als ausreichend vorgetragen angesehen. Dabei sei eine Kilometerpauschale von 0,30 EUR entsprechend § 5 Abs. 2 Nr. 1 JVEG anzusetzen. Die weiteren Kosten seien mangels Angabe der Anschriften nicht nachzuvollziehen.
Die Kosten für Zuzahlungen für Medikament seien grundsätzlich als vermehrte Bedürfnisse erstattungsfähig, jedoch...