Normenkette
BGB §§ 276, 823; ZPO § 286; StVO § 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 17 O 206/99) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 8.3.2000 verkündete Urteil der Zivilkammer 17 des LG Berlin – 17 O 206/99 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.979,48 Euro (21.474 DM) nebst 4 % Zinsen von 10.430,35 Euro (20.400 DM) seit dem 24.12.1998 sowie von 519,13 Euro (1.074 DM) seit dem 30.6.1999 zu zahlen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache Erfolg.
1. Der Beklagte haftet der Klägerin gem. §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 StVO auf Ersatz derjenigen Schäden, die ihr auf Grund des Verkehrsunfalls vom 24.12.1998 auf der Bundesstraße 96a entstanden sind.
a) Der Beklagte hat dadurch, dass er im Rahmen des von ihm durchgeführten Bremsmanövers mit dem Pkw der Klägerin BMW 320i, B.-…, die Kontrolle über das Fahrzeug verlor und es rechts neben die Fahrbahn lenkte, wobei es erheblich beschädigt wurde, das Eigentum der Klägerin verletzt.
b) Die von § 823 Abs. 1 BGB verlangte Widerrechtlichkeit als Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung wird durch die Rechtsgutsverletzung indiziert. Es wäre daher Sache des Beklagten gewesen, zu beweisen, dass er nicht widerrechtlich gehandelt hat (vgl. Palandt/Thomas, 60. Aufl., § 823 BGB Rz. 173; Palandt/Heinrichs, 60. Aufl., Vorbemerkung vor § 249 BGB Rz. 162). Diesen Beweis hat er nicht angetreten.
c) Das von § 823 BGB vorausgesetzte Verschulden des Beklagten ergibt sich entgegen der Ansicht des LG aus den Grundsätzen über den Beweis des ersten Anscheins.
aa) Im Ansatz zutreffend geht das LG davon aus, dass die Lebenserfahrung grundsätzlich für das Verschulden eines Kraftfahrers spricht, wenn er auf übersichtlicher, gerader Straße von der Fahrbahn abkommt und dadurch einen Unfall verursacht (BGH VersR 1967, 1162; OLG Frankfurt VRS 1991, 401; OLG Karlsruhe v. 16.12.1992 – 1 U 140/92, NZV 1994, 229; OLG Köln v. 8.11.1989 – 13 U 130/89, VersR 1990, 390; OLG Hamm v. 4.2.1993 – 6 U 203/92, MDR 1993, 516).
bb) Diese Voraussetzungen ergeben sich hier bereits aus dem übereinstimmenden Parteivorbringen. Der Beklagte selbst hat mit Schriftsatz vom 6.9.1999 vortragen lassen, die Straße verlaufe an der Unfallstelle „schnurgerade”, sei vierspurig ausgebaut und asphaltiert, wobei die Fahrbahnbreite mindestens 7 m betrage. Wenn der Beklagte unter diesen Voraussetzungen von der Fahrbahn abgekommen ist, so spricht die Lebenserfahrung dafür, dass Ursache hierfür ein Fahrfehler gewesen sein muss.
cc) Allein der Umstand, dass sich der Unfall zur Nachtzeit ereignete und am Unfallort nach den Feststellungen der den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten Winterglätte geherrscht hat, ist nicht geeignet, den gegen den Beklagten sprechenden Anscheinsbeweis zu entkräften. Dies folgt schon daraus, dass der Beklagte gem. § 3 Abs. 1 S. 2 StVO verpflichtet war, seine Geschwindigkeit den Sicht- und Wetterverhältnissen sowie seinen persönlichen Fähigkeiten anzupassen. Soweit der Beklagte geltend macht, die Winterglätte sei „plötzlich” aufgetreten, fehlt es an einem Beweisantritt. Es ist daher nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, dass es dem Beklagten bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt möglich gewesen wäre, frühzeitig zu erkennen, dass die Fahrbahn winterglatt war. Im Übrigen macht der Beklagte selbst nicht geltend, allein auf Grund der Winterglätte von der Fahrbahn abgekommen zu sein. Vielmehr nennt er als eigentliche Ursache das unvorhergesehene Auftreten von Wild auf der Fahrbahn.
Auch aus der Entscheidung des BGH (BGH NJW VersR 1967, 1142 [1143]) ergibt sich nichts anderes. Zwar hat der BGH in dem dortigen Fall den Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Fahrers, der von der Fahrbahn abgekommen war, verneint, doch lag dem ein anderer Sachverhalt zugrunde. Der Unfall ereignete sich nicht nur zur Nachtzeit, sondern es herrschte zudem Nebel. Der Unfall ereignete sich auch nicht auf einer mehrspurig ausgebauten geraden Straße, sondern im Bereich einer Linkskurve, wobei die Fahrbahndecke durch Frostaufbrüche beschädigt war. Im Übrigen beruht die zitierte Entscheidung des BGH nicht auf der Annahme, der Beweis des ersten Anscheins für ein – einfaches – Verschulden des Fahrers läge im dortigen Fall nicht vor. Denn in der zitierten Entscheidung hätte nur ein grob fahrlässiges Verhalten gem. § 61 VVG zur Leistungsfreiheit der in Anspruch genommenen Versicherung geführt.
dd) Der Beklagte hat den gegen ihn sprechenden Beweis des ersten Anscheins nicht zu erschüttern vermocht.
(1) Der Anscheinsbeweis wird nicht durch die bloße gedankliche Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs entkräftet, sondern nur durch bewiesene Tatsachen, die einen atypischen Verlauf möglich gemacht haben können (BGH v. 9.10.1991 – IV ZR 264/90, MDR 1992, 133 = NZV 1992, 27; KG VM 1997, 43; Hentschel, Straßenverkeh...