Entscheidungsstichwort (Thema)
Überprüfung der tatsächlichen Grundlage eines Sachverständigengutachtens im Arzthaftungsprozess
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 25.04.2002; Aktenzeichen 9 O 155/99) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das am 25.4.2002 verkündete Urteil der Zivilkammer 9 des LG Berlin sowie teilweise das zu Grunde liegende Verfahren, soweit der Sachverständigenbeweis betroffen ist, aufgehoben und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und erneuten Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem LG vorbehalten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten, in deren Krankenhaus er in der Zeit vom 12. bis 29.5.1997 behandelt wurde, Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 50.000 DM, Ersatz materieller Schäden von 14.052,20 DM sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche zukünftige materielle und immaterielle Schäden.
Er wirft der Beklagten vor, vor der Operation am 16.5.1997 nicht hinreichend über Risiken aufgeklärt worden zu sein. Ferner seien eine Hautläsion sowie Nervschädigungen schuldhaft im Zusammenhang mit der Operation verursacht worden.
Wegen des Parteivorbringens erster Instanz, der dort gestellten Anträge sowie der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das LG hat durch am 25.4.2002 verkündetes Urteil die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Mit seiner rechtzeitigen Berufung macht der Kläger geltend:
Das LG habe verkannt, dass - wie er geltend gemacht habe - durch die Lagerung verursachte Nerv- und Hautschäden typische Risiken seien und daher im Rahmen der Risikoaufklärung über sie aufzuklären gewesen wäre. Entgegen der Ansicht des LG sei über Wundheilungsstörungen und Phlegmonenbildung aufzuklären gewesen, denn die Phlegmone könne zu Nervschäden führen. Hinsichtlich des Risikos der Kriechstrombildung treffe es nicht zu, dass nur über die Risiken, die sich verwirklicht hätten, aufzuklären gewesen wäre. Hätte er gewusst, dass eine dauerhafte Lähmung mit Gehbehinderung Folge der Operation hätte sein können, dann hätte er nicht zugestimmt, weil er seinen Beruf als Elektriker nicht mehr hätte ausüben können und die Erfolgschancen der Operation ohnehin als gering eingestuft worden seien. Stattdessen hätte er die antianginöse Medikamententherapie gewählt.
Das LG habe Widersprüche zwischen dem schriftlichen Gutachten und dem Ergebnis der Anhörung nicht geklärt. Wahrscheinlichste Ursache sei hier nach den Ausführungen des Sachverständigen ein Lagerungsschaden. Die Phlegmone sei erst später festgestellt worden, jedenfalls im Krankenhaus der Beklagten nicht dokumentiert worden, während die Beeinträchtigungen schon nach der Operation aufgetreten seien, weshalb sie nicht erst Folge der Phlegmone sein könnten. Jedenfalls sei eine Phlegmone auch als Lagerungsschaden aufzufassen. Der Sorgfaltsmaßstab sei objektiv und könne nicht mit Hinweis auf die Besonderheiten der Operation herabgesetzt sein. Das LG habe nicht geklärt, welche Möglichkeiten nach der Druckmessung des Kompartments bestanden hätten. Das Unterlassen dieser Messung sei im Übrigen ein grober Behandlungsfehler.
Der Kläger beantragt,
1. das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und seiner Klage stattzugeben,
2. den Rechtsstreit in die erste Instanz zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihren Beweisantritt hinsichtlich einer korrekten Lagerung und der unveränderten Lage auch während der Saphenektomie (Entnahme der Vene aus dem rechten Unterschenkel). Ein Kriechstrom sei nicht denkbar, weil das verwandte Gerät Veränderungen des Widerstandes registriere und mit einem Tonsignal sowie Unterbrechung der Stromzufuhr reagiere. Die gleichzeitige Schädigung der beiden Nerven - der Nervus tibialis könne nicht durch die Lagerung geschädigt werden - sowie die beidseitigen Nervenbeeinträchtigungen sprächen gegen einen Lagerungsschaden. Symptome eines Kompartmentsyndroms hätten gefehlt, weshalb auch keine entsprechende Druckmessung geboten gewesen sei.
Es könne durchaus sein, dass die kritische Herzkreislaufsituation, die nur durch mehrtägige Anwendung eines Herzunterstützungssystems beherrscht werden konnte, zu lokalisierten Ausfällen bestimmter Gefäßareale führen könne und es infolge von Minderperfusion zu Nervenschädigungen kommen könne ("critical-illness"-Neuropathie).
Die eingetretenen Folgen seien keine typischen Risiken der Operation. Die Operation sei gerade die Behandlungsalternative zu der unbefriedigenden medikamentösen Therapie gewesen, die dem Kläger nicht mehr geholfen habe.
Der Kläger erwidert, dass die Parteien wohl einig seien, dass Kriechströme oder der Elektrokauter als Ursache nicht in Betracht kämen. Es sei nicht vorstellbar, dass eine kritische Herzleistung zu lokalisierten Ausfällen führe. Der Sachverständige habe es als abwegig bezeichnet, d...