Leitsatz (amtlich)
Führt ein Verkehrsunfall bei einer vorbestehenden Schadensanfälligkeit wegen ein Os Odontoideum zu einer Instabilität der Halswirbelsäule, die durch das dauerhafte Einsetzen einer Platte operativ behandelt werden muss, kann bei einem zum Unfallzeitpunkt 28-jährigen Mann ein Schmerzensgeld von 30.000 EUR gerechtfertigt sein, wenn eine Nachfolgeoperation wegen eines Plattenbruchs erforderlich war und eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit von 20 % bei einer weiter gehenden Einschränkung der Lebensqualität gegeben ist.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1, § 253
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 12.06.2013; Aktenzeichen 24 O 303/08) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12.6.2013 verkündete Schlussurteil des LG Berlin - 24 O 303/08 - teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 30.013,23 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 8.000 EUR seit dem 30.4.2008, aus 12.000 EUR seit dem 10.12.2008 und aus 10.013,13 EUR seit dem 7.5.2013 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage in dem nach dem Teilurteil vom 8.8.2012 verbliebenen Umfang abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 20 %, die Beklagte 80 % zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil, soweit es Bestand hat, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Von der Darstellung eines Tatbestandes ist gem. § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. § 26 Nr. 8 EGZPO) abgesehen worden.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. In der Sache hat sie auch zum Teil Erfolg.
Dem Kläger steht wegen seiner bei dem Verkehrsunfall vom 19.3.2008 erlittenen Verletzung ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. insgesamt nur 30.000 EUR gegen die Beklagte aus § 115 VVG i.V.m. § 9 StVG und § 253 BGB zu.
Soweit die Beklagte mit der Berufung geltend macht, das dem Kläger vom LG i.H.v. insgesamt 40.000 EUR zuerkannte Schmerzensgeld, das sich der Kläger als Mindestbetrag vorstellt, sei in Höhe eines Teilbetrages von 20.000 EUR übersetzt, hat der Senat die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Es darf sich nicht darauf beschränken, die Ermessensausübung der Vorinstanz auf Rechtsfehler zu überprüfen (vgl. BGH, Urt. v. 28.3.2006 - VI ZR 46/05 juris Rz. 30 - NJW 2006, 1589 f.). Die Überprüfung durch den Senat nach dem genannten Maßstab hat ergeben, dass das dem Kläger wegen seiner unfallbedingten Verletzung zuzuerkennende Schmerzensgeld mit insgesamt 30.000 EUR angemessen und ausreichend bemessen ist.
Durch das Schmerzensgeld soll der Verletzte einen Ausgleich für die in der Regel nicht rückgängig zu machenden erlittenen Schmerzen und Leiden erhalten und ihm soll Genugtuung verschafft werden. Maßgebend für die Bemessung des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen und ihre Folgen, das durch sie bedingte Leiden, dessen Dauer und der Grad des Verschuldens des Schädigers (vgl. dazu BGH NJW 1998, 2741/2742).
Der Genugtuungsfunktion kommt im vorliegenden Fall nur eine untergeordnete Bedeutung zu, weil der Kläger infolge eines vom Versicherten der Beklagten fahrlässig verursachten Auffahrunfalls verletzt worden ist, also das Verschulden des Versicherten der Beklagten eher gering ist.
Wesentlich ist daher hier vor allem die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes, also die Schwere der unfallbedingten Verletzung des Klägers und ihre Folgen. Der Kläger hat durch den Verkehrsunfall nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LG in dem am 8.8.2012 verkündeten Grund- und Teilurteil (vgl. zur Bindungswirklung eines Grund- und Teilurteils bei einem Gesundheitsschaden BGH, Urt. v. 20.5.2014 - VI ZR 187/13 -, Juris Rz. 17, NJW-RR 2014, 1118 ff.) eine Instabilität der Halswirbelsäule bei vorbestehendem Os Odontoideum erlitten, die eine anschließende Operation zur Stabilisierung durch Einsetzen einer Verplattung zwingend erforderlich gemacht hat. Diese Operation ist nicht risikolos, sondern kann nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. M.in seinem Gutachten vom 9.10.2012 in - allerdings seltenen - Ausnahmefällen zu Lähmungen bis hin zu einer Querschnittslähmung führen. Die Operation des Klägers machte einen stationären Krankenhausaufenthalt vom 19.3.2008 bis zum 2.4.2008 und anschließend vom 19.4.2008 bis zum 9.5.2008 eine stationäre Behandlung in einer Reha-Klinik erforderlich. Nach dem vom LG eingeholten überzeugenden Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. J.ist dabei von einem postoperativen Wundschmerz für die Dauer von 6 Wochen auszugehen. Der Heilungsverlauf ist aber komplikationslos gewesen.
Über die mit der Verletzung und der Operation unmittelbar verbundenen Be...