Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatz pflichtwidriger Zahlungen: Exkulpation des Geschäftsführers einer Konzern-GmbH durch für den Gesamtkonzern eingeholtes Insolvenzgutachten
Leitsatz (amtlich)
1. Ein vom Insolvenzverwalter als Indiz der Überschuldung vorgelegter Jahresabschluss ist nicht schon deswegen ohne Aussagekraft, weil er vor Insolvenzeröffnung nicht mehr förmlich beschlossen und vom Geschäftsführer unterzeichnet werden konnte. Vielmehr sind dem Geschäftsführer konkrete Einwendungen in der Sache zumutbar.
2. Zur Frage, ob sich der Geschäftsführer einer konzernangehörigen GmbH zur Exkulpation auf ein Anwaltsgutachten stützen kann, welches das Vorliegen von Insolvenztatbeständen im Wege einer reinen Konzernbetrachtung verneint.
3. Hat der auf die Erstattung von Zahlungen in der Insolvenz in Anspruch genommene Geschäftsführer die sorgfältige Plausibilitätskontrolle einer Insolvenzbegutachtung unterlassen, kann er nicht geltend machen, bei deren Vornahme hätte ihm der Fehler des Begutachtenden nicht auffallen müssen.
Normenkette
EGInsO § 103m; GmbHG § 64 i.d.F. vom 23.10.2008; HGB § 130a Abs. 2; InsO §§ 15b, 17 Abs. 2, § 19 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 20.02.2018; Aktenzeichen 103 O 63/16) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 20.02.2018 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 103 des Landgerichts Berlin - Geschäftsnummer 103 O 63/16 - in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 09.08.2018 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.582.178,39 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.06.2016 zu zahlen.
Dem Beklagten bleibt vorbehalten, nach Erstattung des Verurteilungsbetrages an die Insolvenzmasse seine Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit den Beträgen decken, welche die durch die verbotswidrigen Zahlungen begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, gegen den Kläger als Insolvenzverwalter zu verfolgen.
Die Kosten des Rechtsstreits fallen dem Beklagten zur Last mit Ausnahme der Kosten der Streithilfe, die die Streithelfer selbst zu tragen haben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger ist Insolvenzverwalter der L. GmbH (fortan: Schuldnerin), einer mit dem Vertrieb elektrischer Energie befasst gewesenen Gesellschaft des F.-Konzerns. Der Beklagte amtierte durchgehend als deren alleiniger Geschäftsführer. Der Kläger nimmt den Beklagten auf die Erstattung von Zahlungen in Anspruch, welche die Schuldnerin zwischen dem 14.03.2013 und dem 11.04.2013 an Dritte leistete, bevor sie am 12.04.2013 Eigeninsolvenzantrag stellte.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Zahlungen seien nach Eintritt der Insolvenzreife geleistet worden, denn die Schuldnerin sei spätestens ab dem 13.03.2013 zahlungsunfähig gewesen. Sie habe die Zahlungen eingestellt gehabt. Jedenfalls ergebe sich die Zahlungsunfähigkeit aus der Liquiditätsbilanz. Darüber hinaus sei die Schuldnerin ab dem Ende des Jahres 2011, spätestens aber ab dem Ende des Jahres 2012 überschuldet gewesen. Der Beklagte ist dem im Einzelnen entgegengetreten und hat sich zusätzlich u.a. darauf berufen, es seien bis zuletzt erfolgversprechende Verhandlungen über einen Teilverkauf der Konzernmutter sowie über einen Forderungsverkauf geführt worden, welcher dem Konzern einen kurzfristigen Liquiditätszufluss von EUR 35,0 Mio. gebracht hätte. Zudem sei er - der Beklagte - im Vorstand der F. AG (fortan: Konzernmutter) nicht für Finanzen zuständig gewesen. Er habe auf Gutachten und Testate der Streithelferin zu 1) - einer auf Insolvenzrecht spezialisierten Anwaltskanzlei - vertrauen dürfen, die u.a. am 01.03.2013 und am 22.03.2013 bestätigt hätten, dass die Gesellschaften des Konzerns weder überschuldet noch zahlungsunfähig seien. Wegen der landgerichtlichen Feststellungen im Übrigen wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.
Mit dieser hat die Kammer für Handelssachen die Klage abgewiesen. Die Schuldnerin sei allerdings am 13.03.2013 zahlungsunfähig gewesen. Es hätten an diesem Tag Verbindlichkeiten über EUR 2,7 Mio. bestanden, die bis zur Eröffnung nicht mehr beglichen worden seien. Zudem habe die Schuldnerin mit Schreiben vom 27.03.2013 um Vollstreckungsaufschub bezüglich der Stromsteuer gebeten, weil sie diese nicht habe zahlen können. Angesichts dessen sei von einer Zahlungseinstellung auszugehen. Die Kammer sei jedoch der Auffassung, dass die vorgenommenen Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar gewesen seien. Zahlungsempfä...