Leitsatz (amtlich)

1. Wird bei der elektronischen Öffnungsüberwachung der Fenster eines Museums, in dem sich u. a. gegen Einbruchdiebstahl versicherte Objekte befinden, die Überwachung für ein Fenster deaktiviert, weil Schließdefekte dieses Fensters Fehlalarme ausgelöst haben, um die elektronische Überwachung der übrigen im selben Schaltkreis befindlichen Fenster wieder betreiben zu können, und wird der Schließdefekt des Fensters über einen längeren Zeitraum nicht repariert, so liegt wertungsmäßig die Ursache der Gefahrerhöhung in dem unabhängig vom Willen des Versicherungsnehmers eingetretenen Defekt des Fensters, so dass lediglich eine anzeigepflichtige objektive (ungewollte) Gefahrerhöhung im Sinne des § 23 Abs. 3 VVG vorliegt und keine gemäß § 23 Abs. 1 VVG verbotene subjektive (gewillkürte) Gefahrerhöhung im Sinne des § 23 Abs. 1 VVG, auch wenn isoliert in der Deaktivierung der Öffnungssicherung ein aktives Tun liegt.

2. Hat der Repräsentant des arbeitsteilig organisierten Versicherungsnehmers im Bereich der sogen. Risikoverwaltung Kenntnis von dem gefahrerhöhenden Umstand und dessen gefahrerhöhenden Charakter, ist diese Kenntnis dem Versicherungsnehmer zuzurechnen, weil der Repräsentant in seinem Zuständigkeitsbereich zugleich Wissensvertreter ist.

Die tatsächliche Weiterleitung des Wissens risikoverwaltender Repräsentanten an das vertretungsberechtigte Organ und/oder dessen vertragsverwaltende Repräsentanten ist eine Frage der inneren Organisation des Versicherungsnehmers, die allein im Risikobereich des Versicherungsnehmers liegt, so dass die fehlende Weiterleitung des Wissens der Leistungskürzung wegen Verletzung der Anzeigepflicht durch den Versicherungsnehmer gemäß § 26 Abs. 2 VVG nicht entgegen steht.

 

Normenkette

AVB Ausstellung 2008 Ziff. 5; BGB analog § 166 Abs. 1; VVG § 1 S. 1, §§ 23, 26

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 17.03.2020; Aktenzeichen 4 O 63/19)

 

Tenor

Auf die Berufungen des Klägers und der Streithelferin wird das Urteil der Zivilkammer 4 des Landgerichts Berlin vom 17. März 2020 unter Zurückweisung der Rechtsmittel im Übrigen geändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die C. Bank auf das Konto ...., lautend auf den Kläger, 1.260.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % p.a. auf 2.100.000,00 EUR für den Zeitraum vom 28. März 2017 bis zum 16. Januar 2018 und aus 1.260.000,00 EUR für den Zeitraum vom 17. Januar 2018 bis zum 13. Dezember 2018 sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf diesen Betrag seit dem 14. Dezember 2018 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 62 % und die Beklagte 38 % zu tragen. Die durch die Nebenintervention verursachten Kosten werden zu 38 % der Beklagten auferlegt. Im Übrigen trägt die Nebenintervenientin ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Parteien und der Nebenintervenientin wird gestattet, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei beziehungsweise die Nebenintervenientin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 105 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt als Versicherter die Zahlung der zwischen der Streithelferin und der Beklagten vereinbarten Versicherungssumme wegen der Entwendung der Goldmünze "BIG MAPLE LEAF" aus dem X-Museum in Berlin am 27. März 2017. Die Zahlung soll an die im Tenor genannte Bank erfolgen, an die der Kläger den Anspruch aus dem Versicherungsvertrag mit dem als Anlage K 21 eingereichten Vertrag vom 15. September 2017 abgetreten hat.

Der Kläger ist Eigentümer der genannten Goldmünze. Er hatte mit der Streithelferin zunächst einen ersten Leihvertrag abgeschlossen. Ausstellungsort war das X-Museum in Berlin. Auf den Leihvertrag vom 14.10./6.11.2010 wird verwiesen (K 1). Die Streithelferin und der Kläger schlossen am 3. Januar 2013 einen erneuten Leihvertrag ab (K 3). Dabei wurde die Streithelferin durch den Generaldirektor der Y-Museen vertreten. In diesem Vertrag wurde der Versicherungswert mit 4,2 Mio. EUR statt wie bisher mit 3,5 Mio. EUR angegeben. In § 7 des Vertrages ist geregelt, dass die Leihgaben vom Entleiher bei der Firma Z., Versicherungsmakler, zur Versicherung angemeldet werden.

Die Streithelferin ist eine bundesunmittelbare Stiftung des öffentlichen Rechts. Sie wurde gegründet mit dem Gesetz vom 25. Juli 1957 (BGBl. I, S. 841 = StiftG). Auf sie sind das Eigentum und sonstige Vermögensrechte des ehemaligen Landes Preußen an Kulturgütern, insbesondere Archiv-, Bibliotheks-, Museumsbestände und sonstige Kunstsammlungen oder wissenschaftliche Sammlungen einschließlich Inventar übergegangen. Auch das Eigentum an Grundstücken, die überwiegend zur Unterbringung dieser Kulturgüter bestimmt waren oder dienten, ist auf die Stiftung übergegangen, § 2 StiftG. Organe der Streithelferin sind der Stiftungsrat, der aus V...

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