Leitsatz
Der Mindestbedarf eines Kindes bemisst sich gemäß § 1612a BGB nach dem doppelten Freibetrag für das sächliche Existenzminimum eines Kindes gemäß § 32 Abs. 6 S. 1 EStG. Fallen Kosten für die Betreuung eines Kindes an, stellt sich die Frage, ob diese vom Regelunterhalt abgedeckt werden oder das Kind insoweit einen Mehrbedarf geltend machen kann, der zusätzlich zum laufenden Unterhalt zu zahlen ist.
Sachverhalt
Ein minderjähriges Kind nahm seinen Vater auf Zahlung von Kindesunterhalt in Anspruch. Der Beklagte zahlte für den am 09.01.2002 geborenen Kläger Kindesunterhalt nach der höchsten Einkommensgruppe der "Berliner Tabelle" abzüglich des hälftigen Kindergeldes und zuzüglich der Beiträge für die Krankenversicherung. Der Kläger machte zusätzlich Unterhalt i.H.d. monatlichen Kosten für den Besuch einer Kindertagesstätte geltend.
Das AG hat der Klage teilweise stattgegeben, allerdings einen Anspruch wegen der durch den Besuch der Kindertagesstätte anfallenden Kosten verneint. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG ihm weitergehenden Unterhalt zuerkannt, der auch die Kosten für den Besuch der Kindertagesstätte umfasste.
Hiergegen richtete sich die - beschränkt auf die ausgeurteilten Kindergartenkosten zugelassene - Revision des Beklagten, mit der er insoweit Klageabweisung erstrebt.
Entscheidung
Der BGH stellte in seiner Entscheidung zunächst - wie auch bereits das KG - klar, dass die Kindergartenbeiträge als Bedarf des Kindes zu qualifizieren sind. Insoweit verwies er auf das Urteil vom 05.03.2008 hinsichtlich der Kosten für den Kindergartenbesuch (XII ZR 150/05 in FamRZ 2008, 1152).
Der Besuch des Kindergartens erfolge in erster Linie aus erzieherischen Gründen und nicht zu dem Zweck, der Mutter eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Der Kindergarten biete fürsorgende Betreuung mit dem Ziel einer Förderung sozialer Verhaltensweisen und gewährleiste als Bildungseinrichtung Chancengleichheit in Bezug auf die Lebens- und Bildungsmöglichkeiten von Kindern. Hierdurch werde sozialstaatlichen Belangen Rechnung getragen.
Gleiches gelte für die in Rede stehende Kindertagesstätte, nach deren Konzept die sozialen Verhaltensweisen der Kinder gefördert und die Entwicklung ihrer Persönlichkeit unterstützt werde. Das Zusammensein mit anderen Kindern erleichtere die Integration in ihrer unmittelbaren Umgebung. Die gedeihliche Entwicklung der Kinder werde beobachtet und die Eltern würden über eventuelle Defizite unterrichtet.
Danach handele es sich bei den Kosten der Kindertagesstätte um einen unterhaltsrechtlichen Mehrbedarf des Klägers, der vom Regelunterhalt nicht abgedeckt werde. Mehrbedarf sei der Teil des Lebensbedarfs, der regelmäßig während eines längeren Zeitraums anfalle und das Übliche derart übersteige, dass er mit den Regelsätzen nicht zu erfassen sei.
Das sächliche Existenzminimum und dem folgend der Mindestbedarf eines Kindes beinhalteten nicht die für den Kindergartenbesuch aufzubringenden Kosten. Für den Betreuungs- und Erziehungsbedarf des Kindes, der über den existenziellen Sachbedarf hinaus notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums sei, seien vielmehr zusätzliche Mittel zu veranschlagen. Mit Rücksicht auf die seinerzeitigen Regelbeträge gelte dies auch für die Zeit bis zum 31.12.2007, da durch die Vorschrift des § 1612b Abs. 5 BGB a.F. ein unzureichender Barunterhalt wiederum auf das sächliche Existenzminimum habe aufgestockt werden sollen.
Für den Mehrbedarf müssten beide Elternteile anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen aufkommen.
Bei der Bemessung des Mehrbedarfs sei jedoch zu berücksichtigen, dass die in der Einrichtung anfallenden Verpflegungskosten mit dem Tabellenunterhalt abgegolten seien, so dass in Höhe der hierfür ersparten Aufwendungen kein Mehrbedarf vorliege.
Hinweis
Mit dieser Entscheidung hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben, wonach die Sätze der Düsseldorfer Tabelle auch sozialverträglich gestaltete Kindergartenbeiträge bis zu einer Höhe von ca. 50,00 EUR monatlich abdecken.
Die Entscheidung des BGH stellt eine konsequente Umsetzung des § 1612a BGB dar, wonach der Mindestunterhalt dem sächlichen Existenzminimum eines Kindes entspricht.
Kindergartenbeiträge sind daher jetzt stets als Mehrbedarf zusätzlich zu dem laufenden Kindesunterhalt geltend zu machen. Ist der Kindesunterhalt bislang lediglich mit einem Tabellenbetrag ohne zusätzliche Beträge für den Kindergartenbesuch tituliert, kann Unterhaltsabänderung gemäß § 323 ZPO verlangt werden.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 26.11.2008, XII ZR 65/07