Leitsatz
Kernproblem dieser Entscheidung war die Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen einem Unterhaltsschuldner bei einer Unterhaltsverpflichtung ggü. einem minderjährigen Kind ein fiktives Einkommen zugerechnet werden kann.
Sachverhalt
Der im Januar 1990 geborene Kläger nahm seine Mutter für die Zeit von Januar 2006 bis Dezember 2007 auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch. Seine Eltern waren seit dem Jahre 1998 geschieden. Der Kläger lebte bis zur Volljährigkeit im Haushalt seines Vaters. Die Beklagte war wieder verheiratet. Der Kläger absolvierte seit September 2007 eine außerbetriebliche Berufsausbildung.
Aus der Ehe der Eltern des Klägers war ein weiteres inzwischen volljähriges Kind hervorgegangen.
Die Beklagte hatte den Beruf der Elektromaschinenbauerin mit der Spezialisierung auf "ruhende elektrische Maschinen" erlernt, in diesem Beruf jedoch nur kurz gearbeitet. Sie war später als Kranführerin, am Fließband und als Angestellte in einem Kopierladen tätig. Im Jahre 2003 hatte sie monatliche Nettoeinkünfte von 1.361,05 EUR erzielt. In der Zeit von November 2004 bis Anfang des Jahres 2005 war sie im Rahmen einer Nebenbeschäftigung als Telefonistin mit weit geringeren Einkünften tätig. Von September 2005 bis Juli 2006 hatte sie im Rahmen einer Neben- bzw. Aushilfstätigkeit wieder monatliche Einkünfte erzielt, die deutlich unterhalb des ihr zu belassenden notwendigen Selbstbehalts lagen.
Seit August 2006 arbeitete sie erneut vollschichtig und erzielte aus ihrer Tätigkeit monatliche Bruttoeinkünfte von 1.500,00 EUR.
Bis einschließlich Dezember 2005 hatte die Beklagte an den Kläger und seinen Bruder den seinerzeit von beiden geforderten Unterhalt i.H.v. ca. 188,00 EUR monatlich gezahlt. Im Januar 2006 stellte sie ihre Zahlungen ein und zahlte an beide Kinder nur noch ein monatliches Taschengeld i.H.v. jeweils 50,00 EUR.
Der Kläger nahm sie daraufhin klageweise in Anspruch. Das erstinstanzliche Gericht hat seinen Klageanträgen nicht in vollem Umfang entsprochen und in seiner Entscheidung ausgeführt, die Beklagte sei mit den von ihr seit dem 14.8.2006 tatsächlich erzielten Einkünften nicht leistungsfähig für die Zahlung des von dem Kläger begehrten Unterhalts. Allerdings sei ihr eine Nebentätigkeit zuzumuten, aus der sie weiteres Einkommen erzielen könne. Insgesamt ging das erstinstanzliche Gericht von fiktiven Einkünften der Beklagten von 1.025,00 EUR monatlich aus.
Gegen das erstinstanzliche Urteil legte der Kläger Berufung und die Beklagte Anschlussberufung mit dem Ziel der Abweisung der Klage ein.
Das Rechtsmittel des Klägers hatte zum Teil Erfolg. Der Anschlussberufung der Beklagten blieb der Erfolg versagt.
Entscheidung
Das OLG vertrat die Auffassung, der Kläger wende sich zu Recht gegen die Zugrundelegung eines fiktiven unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens von lediglich 1.025,00 EUR aufseiten der Beklagten. Diese Vorgehensweise sei schon deswegen bedenklich, weil es ihr im Jahre 2003 gelungen sei, einen markant höheren Verdienst von monatlich 1.361,05 EUR netto zu erzielen.
Im Hinblick auf die von ihr erworbene Qualifikation als Elektromaschinenbauerin und ihrer umfangreichen Berufserfahrung in verschiedenen Bereichen des Erwerbslebens könne sie unterhaltsrechtlich nicht wie eine ungelernte Kraft behandelt werden.
Es existiere auch kein Erfahrungssatz, wonach die Beklagte keine Chance auf dem Arbeitsmarkt habe, eine ihrer Ausbildung entsprechende Arbeitsstelle zu finden, weil sie diesen Abschluss in der ehemaligen DDR erworben und nur kurze Zeit in diesem Beruf gearbeitet habe.
Sie habe zwar in erheblichem Umfang Absagen von potentiellen Arbeitgebern vorgelegt, die jedoch nicht auf Ernsthaftigkeit überprüft werden könnten, weil von der Beklagten nicht vorgetragen worden sei, welche Bewerbungsunterlagen sie den jeweiligen Adressaten übersandt habe. Im Übrigen reichten die von ihr dargelegten Bewerbungen auch in quantitativer Hinsicht nicht aus.
Aus dem Internet lasse sich entnehmen, dass in der Region, in der die Beklagte ansässig sei, ein Bruttoeinkommen von 2.000,00 EUR als Elektromaschinenbauerin erzielbar sei. Hieraus ergebe sich bei Einordnung in die Steuerklasse IV ein fiktives Nettoeinkommen von monatlich 1.283,20 EUR. Darüber hinaus sei sie im Hinblick auf ihre gesteigerte Erwerbsobliegenheit gehalten, eine Nebenbeschäftigung auszuüben, aus der sie weitere 150,00 EUR monatlich erzielen könnte. Das OLG legte daher aufseiten der Beklagten fiktive Gesamteinkünfte i.H.v. monatlich 1.433,20 EUR für die von ihm vorgenommene Unterhaltsberechnung zugrunde und kam im Ergebnis zu einer höheren Unterhaltsverpflichtung der Beklagten, als erstinstanzlich ausgeurteilt worden war.
Link zur Entscheidung
OLG Naumburg, Urteil vom 11.12.2008, 8 UF 148/08