Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindesunterhalt: Unterhaltsberechnung unter Zugrundelegung eines fiktiven Einkommens des Unterhaltsschuldners
Leitsatz (amtlich)
Verfügt eine Unterhaltsschuldnerin über eine abgeschlossene Ausbildung als Elektromaschinenbauer in der DDR und hat sie in diesem Beruf nur kurz gearbeitet, existiert kein Erfahrungssatz demzufolge sie keine Chance am Arbeitsmarkt hat, eine ihrer Ausbildung entsprechende Arbeitsstelle zu finden.
Normenkette
BGB § 1603 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Halle (Saale) (Urteil vom 08.07.2008; Aktenzeichen 23 F 1748/06) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 8.7.2008 verkündete Urteil des AG - FamG - Halle (Saale) (Az.: 23 F 1748/06) unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Beklagten abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger rückständigen Kindesunterhalt für den Zeitraum von Januar 2006 bis Dezember 2007 i.H.v. insgesamt 5.783 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag i.H.v. 2.162 EUR seit dem 20.11.2006 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 5.372 EUR (Berufung: 3.450 EUR; Anschlussberufung: 1.922 EUR) festgesetzt.
Gründe
I. Der am 3.1.1990 geborene Kläger nimmt die Beklagte, seine Mutter, auf Zahlung von Kindesunterhalt für die Zeit von Januar 2006 bis Dezember 2007, mithin noch für die Zeit seiner Minderjährigkeit, in Anspruch.
Der Kläger ist aus der Ehe seines Vaters mit der Beklagten hervorgegangen; die Ehe seiner Eltern ist seit dem 18.5.1998 rechtskräftig geschieden. Die Beklagte ist wieder verheiratet. Die elterliche Sorge für den Kläger wurde im Zusammenhang mit der Ehescheidung seinem Vater übertragen, und der Kläger lebte - zumindest bis zum Erreichen der Volljährigkeit - im Haushalt des Kindesvaters.
Aus der Ehe der Beklagten mit dem Kindesvater ist ein weiteres Kind hervorgegangen, nämlich der am 28.5.1988 geborene R. M.. Dieser hat das Gymnasium mit dem Abitur abgeschlossen und befindet sich mittlerweile im Studium.
Der Kläger durchläuft seit dem 17.9.2007 eine außerbetriebliche Berufsausbildung im "B." e.V. in H.. Zuvor, nämlich in der Zeit vom 1.6.2007 bis 14.7.2007, hatte er eine Ausbildung als Fachkraft im Gastronomiegewerbe im Gasthaus "W. " in V. begonnen, das Ausbildungsverhältnis jedoch wegen "unzumutbarer Ausbildungsbedingungen" (Überschreitung der Ausbildungszeiten) gekündigt. Vor Antritt dieser Lehrstelle hat der Kläger, der im Juli 2006 die 10. Klasse der Schule abgeschlossen hatte, ein berufsvorbereitendes Jahr absolviert.
Die Beklagte ist lediglich dem Kläger und dessen Bruder R. M. gegenüber barunterhaltsverpflichtet. Sie hat den Beruf einer Elektromaschinenbauerin mit der Spezialisierung auf "ruhende elektrische Maschinen" erlernt, jedoch nur kurz in diesem Beruf gearbeitet. Sie war später als Kranführerin, am Fließband und als Angestellte in einem Kopierladen tätig, ohne dass zu diesen Tätigkeiten nähere Einzelheiten vorgetragen sind. Im Jahre 2003 war sie bei der Fa. "S." in G. beschäftigt; dort erzielte sie monatliche Nettoeinkünfte von 1.361,05 EUR. In der Zeit von November 2004 bis Anfang des Jahres 2005 war sie im Rahmen einer Nebenbeschäftigung als Telefonistin bei der Fa. "C." GmbH für monatlich netto 94,77 EUR beschäftigt. Vom 8.9.2005 bis 28.7.2006 hat sie - wiederum im Rahmen einer Neben- bzw. Aushilfstätigkeit - als Regalauffüllerin und Disponentin bei der "K." GmbH monatliche Einkünfte erzielt, die durchgehend deutlich unterhalb des ihr zu belassenden notwendigen Selbstbehalts lagen. Seit dem 14.8.2006 arbeitet die Beklagte vollschichtig bei der "M." GmbH in Sch., wo die Beklagte auch wohnhaft ist. Aus dieser Tätigkeit erzielt sie monatliche Bruttoeinkünfte von 1.500 EUR.
Unterhalt zahlte die Beklagte an den Kläger und seinen Bruder R. M. in der seinerzeit von beiden geforderten Höhe von je 187,92 EUR bis einschließlich Dezember 2005. Im Januar 2006 stellte die Beklagte die Unterhaltszahlungen ein. Anschließend zahlte sie an ihre beiden Kinder nur noch ein monatliches Taschengeld i.H.v. jeweils 50 EUR.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 19.1.2006 wurde die Beklagte zur Zahlung von Kindesunterhalt an den Kläger und seinen Bruder i.H.v. jeweils monatlich 187,92 EUR sowie zur Erteilung einer Auskunft über ihre Einkommensverhältnisse im Jahr 2005 aufgefordert.
Das AG hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil wie folgt zu Unterhaltszahlungen an den Kläger verurteilt:
- Rückstand für Januar 2006 bis September 2006: 764 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.11.2006 (Rechtshängigkeit),
- für Oktober 2006 bis Mai 2007 monatlich jeweils 106 EUR,
- für Juni 2007 38 EUR,
- für Juli 2007 69 EUR,
- für August 2007 106 EUR,
- für September 2007 97 EUR,
- für Oktober 2007 bis Dezember 2007 monatlich jeweils 69 EUR.
Es hat damit dem klägerischen Begehren nicht in vollem Umfang entsprochen.
Zur Begründung seiner...