Leitsatz
Das OLG Naumburg hatte sich in seiner Entscheidung mit der Frage auseinanderzusetzen, ob einem einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachgehenden Unterhaltsschuldner die Aufnahme einer Nebentätigkeit zugemutet werden kann. Ferner ging es um die Frage, ob der einem Unterhaltsschuldner zuzubilligende notwendige Selbstbehalt herabgesetzt werden kann, wenn er den in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien ausgewiesenen Wohnkostenanteil tatsächlich nicht ausschöpft.
Sachverhalt
Der Beklagte ist der Vater des am 6.4.1990 geborenen Klägers, der von seinem Vater im Wege einer Titelergänzungsklage die Zahlung von Kindesunterhalt i.H.v. 100 % des Regelbetrages der 3. Altersstufe gemäß § 2 Regelbetragsverordnung begehrte. Der Beklagte hatte sich zuletzt in einer am 3.8.2004 vor dem Jugendamt abgegebenen Urkunde verpflichtet, monatlichen Unterhalt i.H.v. 147,00 EUR an den Kläger zu zahlen. Diesen Betrag zahlte er seit Mai 2004.
Nach der von ihm erteilten Auskunft verfügte der Beklagte im Zeitraum von Juli 2004 bis Juni 2005 über ein monatliches Nettoeinkommen von 1.157,69 EUR aus vollschichtiger Tätigkeit. Er lebte zunächst mit seiner Lebensgefährtin zusammen in deren Haus. Seit dem 15.11.2005 wohnte er alleine und hatte eine monatliche Miete von 220,00 EUR, eine Betriebskostenvorauszahlung i.H.v. 78,00 EUR und einen Betrag von 20,45 EUR für einen Stellplatz zu zahlen.
Er war einem weiteren im Mai 1992 geborenen Kind gegenüber unterhaltsverpflichtet.
Der Kläger vertrat die Ansicht, das Einkommen seines Vaters sei während der Zeit des Zusammenlebens mit dessen Lebensgefährtin fiktiv zu erhöhen, da infolge de gemeinsamen Wirtschaftens eine Haushaltsersparnis vorliege. Im Übrigen sei er verpflichtet, einer Nebentätigkeit nachzugehen, um den Mindestbedarf des Klägers sicherzustellen.
Der Beklagte beantragte Klageabweisung und vertrat die Auffassung, die Voraussetzungen für eine Titelergänzungsklage seien nicht gegeben. Die Mietkosten seien zwischen ihm und seiner Lebensgefährtin nicht aufgeteilt worden. Im Übrigen sei der ihm zustehende notwendige Selbstbehalt nicht wegen der ersparten Mietkosten zu kürzen. Auch eine Haushaltsersparnis durch das Zusammenleben mit seiner damaligen Lebensgefährtin sei ihm nicht anzurechnen.
Das erstinstanzliche Urteil gab der Klage statt und führte zur Begründung u.a. aus, dem normalschichtig und nicht am Wochenende arbeitstätigen Beklagten sei es zumutbar, eine Nebentätigkeit nachzugehen, durch die er monatlich 150,00 EUR hinzuverdienen könne.
Der Beklagte legte gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung ein, die in der Sache keinen Erfolg hatte.
Entscheidung
Das OLG vertrat die Auffassung, das AG habe zu Recht der Abänderungsklage des Klägers stattgegeben und ihm einen Anspruch auf monatlichen Unterhalt i.H.v. 100 % des Regelbetrages der 3. Altersstufe gemäß § 2 Regelbetragsverordnung ab Juli 2004 zuerkannt. Der Beklagte könne sich unterhaltsrechtlich nicht auf eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit gemäß § 1603 Abs. 1 und 2 BGB berufen. Von einem Unterhaltsverpflichteten, der gemäß § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB alle verfügbaren Mittel zu seinem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden habe, seien alle zumutbaren Anstrengungen zu erwarten, um seine Leistungsfähigkeit zu erhalten bzw. wieder herzustellen, notfalls auch durch eine ergänzende Nebentätigkeit (vgl. OLG Dresden, FamRZ 2003, 1206, OLG Brandenburg, Urt. v. 17.3.2005 - 9 UF 148/04 zitiert nach juris).
Von der Verpflichtung zur Übernahme einer Nebentätigkeit sei hierbei im Regelfall auszugehen. Nur bei vorliegend besonderer Umstände im Einzelfall entfalle diese Pflicht (vgl. OLG Naumburg, Urt. v. 6.11.2003 - 14 UF 143/03, OLG Dresden, Beschl. v. 16.2.2005 - 21 UF 22/05 zitiert jeweils nach juris; Palandt/Diederichsen, BGB, 65. Aufl., § 1603 Rz. 58; Wiedenlübbert NJ 2002, 337, 338; anderer Ansicht: OLG Hamm FamRZ 2005, 649).
Das OLG verwies insoweit auf die Rechtsprechung des BVerfG, das entschieden habe, dass die Auferlegung von Unterhaltsleistungen den Unterhaltsschuldner in seinen durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Handlungsfreiheiten einschränke. Allerdings seien diese wiederum nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet, zu der auch das Unterhaltsrecht gehöre, soweit dieses mit Art. 6 Abs. 1 GG in Einklang stehe. Auslegung und Anwendung verfassungsgemäßer unterhaltsrechtlicher Normen dürften dabei nicht zu verfassungswidrigen Ergebnissen führen. Dies heiße, der ausgeurteilte Unterhalt dürfe den Unterhaltspflichtigen nicht unverhältnismäßig belasten (BVerfG FamRZ 2003, 661 f.).
Die fiktive Zurechnung eines Einkommens aus einer nach Ansicht des Gerichts geschuldeten und auch wahrnehmbaren Nebentätigkeit dürfe deshalb nur dann erfolgen, wenn und soweit die Aufnahme einer weiteren oder anderen Erwerbstätigkeit dem Unterhaltspflichtigen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbar sei und ihn nicht unverhältnismäßig belaste. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Dem Beklagten sei daher neben seiner Vollzeit...