10.1 Allgemeines
Rz. 61
Die Einrede des nicht erfüllten Vertrags nach § 320 ist durch das Minderungsrecht nach § 536 nicht ausgeschlossen, kann also daneben geltend gemacht werden; dabei steht eine etwaige Vorleistungspflicht des Mieters aufgrund der Vereinbarungen im Mietvertrag nicht entgegen (vgl. dazu insgesamt BGH, Urteil v. 7.5.1982, V ZR 90/81, BGHZ 84, 42; LG Berlin, Urteil v. 20.5.1994, 63 S 39/94, WuM 1994, 464; vgl. jetzt auch BGH, Urteil v. 18.4.2007, XII ZR 139/05, wonach der Erfüllungsanspruch selbst dann noch besteht, wenn eine Minderung nach § 536b ausgeschlossen ist.
Der Erfüllungsanspruch ist allerdings dann ausgeschlossen, wenn die Mietvertragsparteien einen bestimmten, bei Überlassung vorhandenen (schlechten) Zustand der Mietsache als vertragsgemäß vereinbart haben. Dazu ist aber positive Kenntnis eines bestimmten Mangels erforderlich. Nach allgemeiner Meinung darf man bei der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts auch über den Betrag der Minderungsquote hinausgehen, weil dem Mieter insofern ein Druckmittel gegen den Vermieter zugebilligt wird, um diesen zur Beseitigung der Mängel zu veranlassen. Im Hinblick auf § 320 Abs. 2 wird jedoch in der Praxis das Zurückbehaltungsrecht auf das Drei- bis Fünffache der Minderungsquote beschränkt (vgl. z. B. LG Hamburg, WuM 1991, 262; LG Berlin, Urteil v. 21.3.1995, 64 S 290/94, GE 1995, 821; LG Berlin, Urteil v. 9.6.1995, 64 S 256/94, GE 1996, 549; Beuermann, GE 1994, 360; vgl. auch BGH, Urteil v. 18.4.2007, XII ZR 139/05, oben Rn. 13). Das Zurückbehaltungsrecht, das formularmäßig weder ausgeschlossen noch beschränkt werden kann (LG Osnabrück, Urteil v. 2.12.1988, 11 S 277/88, WuM 1989, 370; LG Berlin, GE 1994, 403), kann den Eintritt des Verzugs des Mieters mit der Mietzahlung verhindern, ohne dass der Mieter das Recht zuvor geltend machen muss (vgl. BGH, Urteil v. 7.5.1982, V ZR 90/81, BGHZ 84, 42; LG Berlin, GE 1994, 403). Ist der Vermieter mit der Mangelbeseitigung in Verzug, so kommt der minderungsberechtigte Mieter nicht in Verzug, soweit sein Zurückbehaltungsrecht der Fälligkeit der Miete entgegensteht (LG Berlin, Urteil v.3.6.2020, 65 S 205/19, ZMR 2020, 950).
10.2 Fortdauer des Leistungsverweigerungsrechtes
Rz. 62
Das Zurückbehaltungsrecht gilt selbst noch nach Auszug des Mieters, wenn er für einen späteren Zeitraum gekündigt hat. Dies gilt nicht, wenn der Mieter den Mietvertrag fristlos gekündigt und die Mietsache geräumt hat (BGH, VIII ZR 310/80, WuM 1982, 296). Denn die Einrede aus § 320 BGB hat nur verzögerlichen Charakter und dient dazu, den anderen Teil zur Erfüllung des mit der Einrede geltend gemachten Anspruchs anzuhalten. Redlicherweise kann der Mieter das Zurückbehaltungsrecht an der laufenden Miete nur so lang ausüben, wie es noch seinen Zweck erfüllt, den dergestalt wirtschaftlich unter Druck gesetzten Vermieter (doch noch) zur Mangelbeseitigung anzuhalten (BGH, Urteil v. 19.10.2022, XII ZR 97/21, NZM 2023, 80; Bestätigung von BGHZ 206, 1). Daher besteht das Zurückbehaltungsrecht erst dann, wenn der Mieter dem Vermieter den diesem unbekannten Mangel nach § 536c angezeigt hat (BGH, Urteil v. 3.11.2010, VIII ZR 330/09, WuM 2011,12). Fraglich ist, ob dies auch dann gilt, wenn dem Vermieter der Mangel bereits bekannt war. Das Zurückbehaltungsrecht aus § 320 entfällt, wenn der Mangel (inzwischen) beseitigt wurde; wenn der Vermieter behauptet, der Mangel der Mietsache sei schon beseitigt oder er werde beseitigt sein, kommt es darauf an, ob das Zurückbehaltungsrecht noch dem Zweck dienen kann, Druck auf den Vermieter auszuüben (LG Berlin, Urteil v. 27.5.2021, 65 S 19/21, GE 2022, 102).
Das Zurückbehaltungsrecht entfällt nicht, wenn der Mieter das zurückbehaltene Geld ausgegeben hat (Schmidt-Futterer/Eisenschmid, § 536 Rn. 414).
Mit der Veräußerung des Mietobjekts verliert der Mieter gegenüber dem Veräußerer sein Zurückbehaltungsrecht und muss die einbehaltenen Beträge zurückzahlen (BGH, VIII ZR 284/05, GE 2006, 1034).Der Mieter sein Zurückbehaltungsrecht nunmehr gegenüber dem Erwerber erneut geltend machen.
10.3 Ausschluss des Leistungsverweigerungsrechtes
Rz. 63
Bei Wohnraummietverhältnissen ist der formularmäßige Ausschluss oder die formularmäßige Beschränkung des Zurückbehaltungsrechts gemäß § 309 Nr. 2 Buchst. a unwirksam (LG Berlin, GE 1994, 403); das gilt auch für eine Formularklausel im Mietvertrag, die das Zurückbehaltungsrecht von einer Ankündigung abhängig macht (LG Berlin, ZMR 1998, 33) oder auf den Nettomietzins beschränkt. Soweit individualvertraglich etwas anders vereinbart wurde, ist bei Wohnraummietverhältnissen die Einschränkung durch § 556b Abs. 2 BGB zu beachten (Einzelheiten s. dort).
Eine vom Vermieter verwendete formularmäßige Klausel, wonach der Mieter von Geschäftsraum gegenüber den Ansprüchen des Vermieters auf Zahlung der Miete kein Minderungsrecht wegen Mängel der Mietsache geltend machen kann, es sei denn, der Vermieter hat die Mängel vorsätzlich oder fahrlässig zu vertreten, benachteiligt den Mieter unangemessen und ist deswegen unwirksam (BGH, Urteil v. 12.3.2008, XII ZR 147/05, GE 2008, 862). Dasselbe gilt für eine vom Vermie...