Rz. 40
Rechtsmissbräuchlicher Eigenbedarf
Es gibt zahlreiche Fallkonstellationen, in denen eine Eigenbedarfskündigung vom BGH als rechtsmissbräuchlich eingestuft worden ist.
Dies gilt zunächst für den Fall, dass der Eigenbedarf des Vermieters noch vor Ablauf der Kündigungsfrist entfällt. Ein Festhalten an der rechtmäßig ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung ist dann rechtsmissbräuchlich (BGH, Urteil v. 9.11.2005, VIII ZR 339/04, NJW 2006, 220). Dieser Zeitpunkt ist für das Bestehen einer Hinweispflicht grundsätzlich auch dann maßgebend, wenn die Parteien in einem (gerichtlichen) Räumungsvergleich einen späteren Auszugstermin des Mieters vereinbaren. Denn es wäre mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und eines effektiven Rechtsschutzes nicht zu vereinbaren, wenn dem Mieter ein über die Kündigungsfrist deutlich hinausgehender Schutz nur deshalb zufiele, weil es nach Jahren des Rechtsstreits zur Vereinbarung eines Auszugstermins kommt.
Rz. 41
Die Gerichte haben zwar nicht in die Lebensplanung des Vermieters einzugreifen, sondern diese zu respektieren (BVerfG, Beschluss v. 31.1.1994, 1 BvR 1465/83, WuM 1994, 183). Jedoch ist die Kündigung dann rechtsmissbräuchlich, wenn damit ein weit überhöhter Wohnbedarf geltend gemacht wird. Angenommen wurde ein solcher für den Fall, dass der Mieter (fünfköpfige Familie) im Besitz einer 180 m2 großen, bestens ausgestatteten Altbauwohnung zu einem günstigen Mietpreis ist, in die der Sohn des Vermieters alleine einziehen soll.
Weit überhöhter Wohnbedarf
Rechtsmissbräuchlich ist also nicht der erhöhte, sondern nur der weit überhöhte Wohnbedarf. Die Wertung, ob der Wohnbedarf weit überhöht ist, müssen die Gerichte unter Abwägung der beiderseitigen Interessen anhand objektiver Kriterien unter Würdigung des Einzelfalls treffen.
Dabei lassen sich keine Richtwerte (etwa Wohnfläche) aufstellen, ab welcher Grenze bei einem Alleinstehenden von einem weit überhöhten Wohnbedarf auszugehen ist. Denn diese Beurteilung hängt nicht allein von der in Anspruch genommenen Wohnfläche oder der Anzahl der Räume ab, sondern von einer umfassenden Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls. Macht sich der Vermieter z. B. den (ernsthaften) Wunsch eines alleinstehenden volljährigen Familienangehörigen zu eigen, einen eigenen Hausstand in einer 125 m2 großen Wohnung zu gründen und mit einem (langjährigen) Freund eine Wohngemeinschaft (keine Lebensgemeinschaft) zu bilden, und bemisst er auf dieser Grundlage den aus seiner Sicht angemessenen Wohnbedarf, ist diese Entscheidung von den Gerichten grundsätzlich anzuerkennen (BGH, Urteil v. 4.3.2015, VIII ZR 166/14, GE 2015, 585).
Will der Vermieter die gekündigte Wohnung selbst nutzen, ist es unerheblich, dass die Wohnung des Vermieters und die daneben liegende Wohnung des Mieters zusammen eine Fläche von mehr als 200 m2 haben, wenn die Wohnungen durch die dreiköpfige Familie genutzt werden sollen (LG Berlin, Urteil v. 7.5.2014, 18 S 34/13, GE 2015, 58). Beansprucht der Vermieter für sich und seine Lebensgefährtin eine 143 m2 große Wohnung wegen Eigenbedarfs, ist der geltend gemachte Wohnbedarf nicht überhöht (LG Köln, ZMR 1994, Heft 9 Innenseite X; a. A. AG Köln, ZMR 1993, Heft 12, Innenseite XV). Dasselbe gilt für eine 5,5-Zimmer-Wohnung mit 156 m2, die der kündigende Vermieter zusammen mit seiner Lebensgefährtin selbst nutzen will, wenn die Wohnung vorher ebenfalls von 2 Mietern bewohnt worden ist (vgl. dazu BVerfG, Beschluss v. 30.6.1994, 1 BvR 2048/93, a. a. O.), wenn die Tochter des vermietenden Eigentümers eine Wohnung von knapp 80 m2 – allein oder zu zweit – nutzen will (LG Potsdam, Urteil v. 25.2.1999, 31 S 188/98, GE 1999, 647), wenn der 40 Jahre alte, derzeit nicht arbeitende Lehrer eine 150 m2 große Wohnung allein nutzen will (LG Berlin, Urteil v. 10.6.1999 67 S 236/98, MM 1999, 397 ff.).
Der Wohnbedarf ist jedoch als überhöht anzusehen, wenn Eigenbedarf hinsichtlich einer 100 m2 großen 5-Zimmerwohnung für die 18-jährige Tochter des Vermieters geltend gemacht wird, die darin zunächst alleine wohnen will und weder über eine Ausbildungsstelle noch einen Arbeitsplatz noch über eigenes Einkommen verfügt (AG Berlin-Köpenick, Urteil v. 17.9.2013, 14 C 16/13, WuM 2013, 678).Dasselbe gilt für die Kündigung wegen Eigenbedarfs der 21-jährigen Tochter, die als Auszubildende mit geringem Einkommen und Vermögen eine 4-Zimmerwohnung mit einer Wohnfläche von fast 120 m2 nutzen will (LG Berlin, Urteil v. 20.11.2021, 64 S 50/20, GE 2021, 248).
Rz. 42
Auch soweit die Wohnung die Nutzungswünsche des Vermieters überhaupt nicht erfüllen kann oder sein Wohnbedarf in einer anderen, ihm gehörenden und frei gewordenen Wohnung ohne wesentliche Abstriche befriedigt werden kann, besteht kein anerkennenswertes Interesse an der Verdrängung des Mieters, sodass sich bereits der Ausspru...