Leitsatz

Ein Wohnungseigentümer ist befugt, gegen die Baugenehmigung für das Nachbargrundstück zu klagen, sofern der Behörde bei ihrer Entscheidung über die Baugenehmigung auch der Schutz seiner nachbarlichen Interessen aufgetragen ist. Die Klage hat Erfolg, wenn die Baugenehmigung in erheblicher Weise in bauplanungsrechtlicher oder in bauordnungsrechtlicher Hinsicht gegen drittschützende Rechte des Wohnungseigentümers verstößt

 

Normenkette

§§ 30 Abs. 3, 34 BauGB; Art. 6 BayBO

 

Das Problem

  1. Bauträger T plant, das Grundstück N mit einem Wohngebäude mit 6 Vollgeschossen und 3 Rückgebäuden mit 3 und 4 Geschossen sowie einer Tiefgarage zu bebauen. Der 4-geschossige Block 3 grenzt an die nördliche Grundstücksgrenze und schließt an den dort auf dem Nachbargrundstück vorhandenen 3-geschossigen Baukörper an. Block 1 soll 6-geschossig, Block 2 und 4 jeweils 3-geschossig werden. Der Abstand von Block 1 zur nördlichen Grundstücksgrenze soll 4 m, von Block 2 und 4 jeweils 13 m betragen. Die Gebäudekomplexe erreichen eine Höhenentwicklung von 18,90 m beim 6-geschossigen Teil, beim 3-geschossigen Teil 9,30 m und beim 4-geschossigen 12,30 m. Für seine Sicherheit beantragt T einen Vorbescheid.
  2. Im Februar 2012 erteilt die Bauaufsichtsbehörde diesen. Sie hält nach Maßgabe der §§ 30, 34 Abs. 1 BauGB das in T's Plänen dargestellte Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung (Wohnen, im Vordergebäude im Erdgeschoss Laden/Atelier/Büro) planungsrechtlich für zulässig. Die Bauaufsichtsbehörde stellt dabei eine Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächen in Aussicht. Im maßgeblichen Geviert würden die Abstandsflächen mehrfach nicht eingehalten werden. Es sei von einer atypischen Situation auszugehen, die die Erteilung einer Abweichung rechtfertige.
  3. Verwalter V wird im Februar 2013 eine "Nachbarausfertigung" zugestellt. Die von ihm verwaltete Wohnungseigentumsanlage W grenzt unmittelbar an N an. V teilt den Wohnungseigentümern die Nachbarausfertigung mit. Wohnungseigentümer K ist empört. Er wendet sich im Wege der Klage gegen den Vorbescheid und beantragt dessen Aufhebung. Seine Einheit liege im 2. Obergeschoss. Sie sei von der Ausrichtung her dem Vorbescheidsvorhaben direkt und unmittelbar zugewandt. Das Vorhaben füge sich weder nach der baulichen Nutzung noch nach den Abstandsflächen in die nähere Umgebung ein und führe für K zu einer unzumutbaren, rücksichtslosen Verschlechterung der Belichtungsverhältnisse. Der Lichteinfallwinkel von 45 ° sei nicht eingehalten. Hinsichtlich der Abstandsflächen liege keine atypische Situation vor.
 

Die Entscheidung

  1. Die Klage hat keinen Erfolg. Allerdings sei sie zulässig. K könne als Sondereigentümer geltend machen, durch den Vorbescheid in nachbarschützenden Rechten verletzt zu sein. Hinsichtlich des gemeinschaftlichen Eigentums seien Wohnungseigentümer zwar nur "eingeschränkt wehrfähig". Wohnungseigentum stehe aber unter dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG und vermittle daher Rechte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei die Klagebefugnis des Wohnungseigentümers als Sondereigentümer zu bejahen, sofern der Behörde bei ihrer Entscheidung über die Baugenehmigung auch der Schutz der nachbarlichen Interessen des Sondereigentümers aufgetragen sei (Hinweis auf BVerwG v. 20.8.1992, 4 B 92/92). Dies sei "möglicherweise" dann der Fall, wenn das Sondereigentum beispielsweise "im Bereich der Abstandsflächen" liege oder aber das "bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot unmittelbar das Sondereigentum betreffe" (Hinweis auf VGH München v. 12.7.2012, 2 B 12.1211). Für nicht ausreichend erachte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hingegen den Fall, dass sowohl ein geltend gemachter Gebietserhaltungsanspruch als auch eine mögliche Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme das Sondereigentum des Klägers allenfalls im gleichen Maß wie alle anderen Sondereigentümer sowie das Anwesen insgesamt und damit das gemeinschaftliche Eigentum betreffe. Eine Verletzung von Sondereigentumsrechten durch Nichteinhaltung der gesetzlichen Abstandsflächen komme nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs allerdings dann in Betracht, wenn die fragliche Wand des Bauvorhabens – wie hier – den Fenstern gegenüberliege, die zur Wohnung des Sondereigentümers gehörten (Hinweis auf VGH München v. 22.3.2010, 15 CS 10.352; VGH München v. 21.1.2009, 9 CS 08.1330; VGH München v. 11.2.2004, 2 CS 04.18; a.A. VGH München v. 6.11.2008, 14 ZB 08.2327).
  2. Der Vorbescheid verstoße indessen weder in bauplanungsrechtlicher noch in bauordnungsrechtlicher Hinsicht gegen drittschützende Rechte des klagenden K. Es sei nicht "rücksichtslos". Die zu befürchtende Verschattung führe nicht zu Lichtverhältnissen, die als untragbare Zustände im Sinne eines Missstands zu qualifizieren wären, der keinesfalls hingenommen werden könne. Das Vorhaben habe ferner auf K's Sondereigentum weder eine "abriegelnde" noch "erdrückende" Wirkung. Und durch die in Aussicht gestellte Abweichung von den nach Art. 6 BayBO erforderlichen Abstandsflä...

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