Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung einer Betriebsratswahl. Unterlassene Versiegelung der Wahlurne bei mehrtägiger Wahl. Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des Arbeitgebers. hier: Übernahme der Kosten einer Wahlbroschüre
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Erstattung unterschiedlich hoher Druck- und Übersetzungkosten zweier konkurrierender Wählerlisten stellt keinen Verstoß gegen das Gebot des § 20 Abs. 2 BetrVG dar.
2. Die unterlassene Versiegelung der Wahlurne stellt einen Verstoß gegen § 12 Abs. 5 S. 1 WO dar, der nicht dadurch geheilt werden kann, dass an ihre Stelle die Verbringung der Wahlurne in einen videoüberwachten Raum zwischen dem ersten und zweiten Wahltag erfolgt.
Normenkette
BetrVG § 19 Abs. 1, § 20 Abs. 2; WO § 12 Abs. 5 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Mannheim (Beschluss vom 13.12.2006; Aktenzeichen 10 BV 28/08) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beteiligten 4 und 5 wird der Beschluss des Arbeitsgerichtes Mannheim vom 13.12.2006 – Az.: 10 BV 28/08 – abgeändert.
2. Der Antrag der Beteiligten Ziffer 1 bis 3, die Betriebsratswahl vom 08./09. Mai 2006 für unwirksam zu erklären, wird zurückgewiesen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligte zu 5 beschäftigt in ihrem H. Betrieb 110 wahlberechtigte Arbeitnehmer. Zu ihnen gehören die Beteiligten Ziffer 1 bis 3, die am 24.05.2006 die am 08. und 09. Mai 2006 durchgeführte Betriebsratswahl angefochten haben. Die Beteiligten zu 2 und 3 waren auch Mitglieder des Wahlvorstandes.
Die Mitarbeiter der Beteiligten zu 5 im H. Betrieb erbringen überwiegend Reinigungsarbeiten. Die große Mehrheit der dort beschäftigten Mitarbeiter sind deutscher, türkischer und russischer Nationalität. Etwa ein Drittel der Mitarbeiter sind russische Staatsangehörige oder aus Russland stammende deutsche Staatsangehörige; ein weiteres knappes Drittel bilden türkische Mitarbeiter, das verbleibende Drittel setzt sich überwiegend aus deutschen Staatsangehörigen zusammen.
Am 08. und 09. Mai 2006 wurde ein neuer siebenköpfiger Betriebsrat – das ist der Beteiligte Ziffer 4 – gewählt. An der Wahl beteiligten sich zwei Vorschlagslisten, nämlich die Liste 1 mit dem Namen „Z.” und die Liste 2 mit dem Namen „D.”.
Die beiden Vorschlagslisten wandten sich mit farbigen Wahlflugblättern an die Belegschaft. Die Liste 1 hatte ihr Wahlflugblatt zuvor in die türkische und russische Sprache übersetzen lassen. Die angefallenen Druck- und Übersetzungskosten erstattete die Beteiligte Ziffer 5 dieser List auf Antrag.
Am 24.04.2006 bat auch die Listenführerin der Liste 2 den Personalleiter der Beteiligten Ziffer 5 „… um die Bestätigung der Kostenübernahme der Druck- und Übersetzungskosten für die Betriebsratswahlen.” Dieser teilte der Listenführerin telefonisch mit, dass eine „pauschale Kostenübernahme” abgelehnt werde und bat um Mitteilung der zu erwartenden „ungefähren Kosten.” Die Listenführerin der Liste 2 gab hierauf keine Antwort, veranlasste aber daraufhin eine Übersetzung ihres Wahlkampf-Flugblattes in die türkische Sprache. Die Beteiligte Ziffer 5 erstattete ihr diese Übersetzungskosten.
Der Wahlvorstand unterließ es, am Ende des ersten Wahltages, dem 08.05.2006, den Schlitz der Wahlurne zu versiegeln. Anstatt dessen wurde die Wahlurne in der Nacht vom 08. auf den 09.05.2006 in einem video-überwachten Tresorraum verwahrt. Der Deckel der Wahlurne war mittels eines Vorhängeschlosses gesichert.
Am 10.05.2005 wurde das Wahlergebnis veröffentlicht. Ausweislich der Wahlniederschrift enthielt die Wahlurne 99 Wahlumschläge. An der Wahl selbst hatten sich ausweislich der Aufzeichnungen des Wahlvorstandes ebenso viele Arbeitnehmer beteiligt. 96 Stimmen waren gültig; hiervon entfielen 59 Stimmen auf die Vorschlagsliste 1 und 37 auf die Vorschlagsliste 2.
Die Beteiligten Ziffer 1 bis 3 leiteten per Fax vom 24.05.2006 das vorliegende Beschlussverfahren ein.
Sie sind der Meinung, dass die Betriebsratswahl unwirksam sei, weil – neben anderen nur erstinstanzlich vorgetragenen Gründen – gegen zwingende Vorschriften der Wahlordnung verstoßen worden sei:
Zwischen den beiden Wahlvorgängen hätte die Wahlurne versiegelt werden müssen.
Überdies habe die Beteiligte Ziffer 5 in unzulässiger Weise das Wahlverfahren beeinflusst, indem sie die farbige Wahlkampf-Zeitung der Liste 1 finanziert und die Übersetzungskosten sowohl in die russische als auf in die türkische Sprache übernommen habe, während der Wahlliste 2 nur die Übersetzungskosten ins Türkische erstattet worden seien.
Die Beteiligten Ziffer 1 bis 3 haben beantragt:
Die Wahl des Betriebsrates S. GmbH vom 08./09.05.2006 wird für unwirksam erklärt.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 13.12.2006 dem Antrag der Beteiligten Ziffer 1 bis 3 mit der Begründung entsprochen, die Beteiligte Ziffer 5 habe der Vorschlagsliste 1 die Kosten ihrer Wahlkampf-Zeitung voll umfänglich und die der Liste 2 nur zum Teil erstattet; hierdurch habe sie gegen das gesetzliche Verbot von § 20 Abs. 2 BetrVG verstoßen. Die Beteiligte Ziffer 5 wäre aus Gründen der Neutralität gehalten gewes...