Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsrat. Betriebsvereinbarung. Minderheitenschutz. Bevorzugungsverbot. Bestellung von Beauftragten des Betriebsrats aufgrund Betriebsvereinbarung zur Regelung der Kommunikationsmöglichkeiten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sogenannte Beauftragte des Betriebsrats, die den Betriebsrat in der Kommunikation mit der Belegschaft unterstützen sollen, ohne dass ihnen betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben zur eigenständigen Wahrnehmung übertragen werden, sind grundsätzlich - vorbehaltlich der konkreten Ausgestaltung - mit dem Betriebsverfassungsgesetz vereinbar.

2. Solche Beauftragte des Betriebsrats, die nicht in einer Organstruktur zusammengefasst sind, stellen weder eine "andere Arbeitnehmervertretungsstruktur" im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG noch eine "zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Vertretung der Arbeitnehmer" nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG dar (wie LAG Baden-Württemberg 26. Juli 2010 - 20 TaBV 3/09).

3. Die Verhältniswahl ist kein allgemeines Prinzip der Betriebsverfassung. Sie ist auch nicht aus Gründen des Minderheitenschutzes bei der Bestellung solcher Beauftragter des Betriebsrats geboten. Diese kann vielmehr durch Mehrheitsbeschluss des Betriebsrats gem. § 33 Abs. 1 BetrVG erfolgen.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1; BetrVG § 3 Abs. 1 Nrn. 3, 5, § 33 Abs. 1, § 38 Abs. 2, § 40 Abs. 1-2, §§ 75, 77-78, 80

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 25.01.2012; Aktenzeichen 32 BV 39/11)

 

Tenor

  • 1.

    Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 25.01.2012 - 32 BV 39/11 - wird zurückgewiesen.

  • 2.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit zweier Betriebsvereinbarungen, die dem Betriebsrat die Benennung sogenannter Beauftragter des Betriebsrats ermöglichen sollen, und eines Betriebsratsbeschlusses vom 09.06.2011, durch den der Betriebsrat mit einfacher Stimmenmehrheit die Beauftragten des Betriebsrats bestimmt hat.

A

Die als Beteiligte zu 9 beteiligte Arbeitgeberin ist ein Automobilhersteller (künftig: Arbeitgeberin). Sie ist Mitglied im Arbeitgeberverband Südwestmetall und beschäftigt in ihrem Werk U. (künftig: Betrieb) ca. 19.790 Arbeitnehmer. Der Beteiligte zu 8 ist der in diesem Betrieb nach der letzten im März 2010 abgehaltenen Betriebsratswahl gebildete 43-köpfige Betriebsrat (künftig: Betriebsrat). Von den Betriebsratsmitgliedern gehören 7 unabhängigen Listen an, 2 sind Mitglied der christlichen Gewerkschaft Metall (CGM) und 34 Mitglied der IG Metall (künftig: Mehrheitsgewerkschaft). Die erstinstanzlich 7 Antragsteller waren Mitglieder dieses Betriebsrats und hatten nicht auf der Liste der Mehrheitsgewerkschaft kandidiert. Der frühere Beteiligte zu 5 ist zum Zeitpunkt der Anhörung der Beteiligten vor der Beschwerdekammer aus dem Betriebsrat ausgeschieden. Von den 43 Betriebsratsmitgliedern sind 28 oder 29 nach § 38 BetrVG vollständig freigestellt. Die übrigen Betriebsratsmitglieder sind ganz überwiegend vollständig "faktisch" freigestellt, üben also tatsächlich ohne förmliche Freistellung nach § 38 BetrVG ausschließlich Betriebsratstätigkeiten aus.

Unter anderem vor dem Hintergrund der großen Anzahl zu betreuender Arbeitnehmer entwickelte sich im Betrieb die Einrichtung der sogenannten Beauftragten des Betriebsrats (künftig: Beauftragte). Eine rechtliche Regelung erfuhr diese Einrichtung erstmals am 09.09.1997 durch die "Betriebsvereinbarung zur Regelung der Kommunikationsmöglichkeiten des Betriebsrates im Werk U." vom 09.09.1997 (künftig: BV 1997, Bl. 13 f. der Arbeitsgerichtsakte). Diese Betriebsvereinbarung enthält zu den Beauftragten die folgenden Regelungen:

"1. Kommunikationskonzept des Betriebsrats

1.1 Das Kommunikationskonzept findet nur für die Arbeiter/Arbeiterinnen des Werkes U. Anwendung.

Die Anzahl der Beauftragten wird im Verhältnis: 1 Beauftragte(r) pro 25 Arbeiterinnen jedoch max. 500 Beauftragte festgelegt.

Der Betriebsrat benennt die Beauftragten namentlich in den Centern, dabei muss sichergestellt sein, dass sie von den Vorgesetzten und den Gruppen akzeptiert werden.

1.2 Aufgaben der Beauftragten des Betriebsrates sind u.a.:

- Unterstützung des Betriebsrates bei seiner Meinungsbildung

- Verteilung von Informationsmaterial

- Übernahme von konkreten Aufträgen, die der Betriebsrat erteilt

1.3 Das Zeitkontingent, das dem Betriebsrat für die Beauftragten zur Verfügung gestellt wird, beträgt 25.000 Stunden pro Jahr.

1.4 Das Kontingent der Beauftragten gliedert sich wie folgt:

- regelmäßige Bereichssitzungen von ca. 1 Stunde pro 14 Tage (planbar mit rechtzeitiger Ankündigung beim Vorgesetzten);

die Bereichssitzung findet unter Leitung der Bereichsbetriebsräte statt

- Vorbereitung der Regelkommunikation

- Informationsaustausch unter den Beauftragten

- Spezifische Qualifizierung

Die zeitweise Entbindung von der Arbeitspflicht erfolgt in Absprache zwischen dem jeweiligen Vorgesetzten und dem Beauftragten. Bei Komplikationen ist der Bereichsbetriebsrat hinzuzuziehen.

1.5 Die Werkleitun...

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