Entscheidungsstichwort (Thema)

Bildung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Informationen und Unterlagen für den Wirtschaftsausschuss". Offensichtliche Unzuständigkeit wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen für die Bildung eines Wirtschaftsausschusses

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Prüfung der "offensichtlichen Unzuständigkeit" der Einigungsstelle nach § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG gehört beim Streit, ob einem Wirtschaftsausschuss Auskünfte zu erteilen sind, auch die Frage, ob die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen zur Bildung eines Wirtschaftsaussschusses vorliegen. Sind diese Voraussetzungen offensichtlich nicht gegeben, ist der Antrag bzgl. der Besetzung einer Einigungsstelle zurückzuweisen.

 

Normenkette

ArbGG § 100; BetrVG §§ 106, 118

 

Verfahrensgang

ArbG Villingen-Schwenningen (Entscheidung vom 16.07.2020; Aktenzeichen 3 BV 2/20)

 

Tenor

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 16. Juli 2020 - 3 BV 2/20 - wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Bildung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Informationen und Unterlagen für den Wirtschaftsausschuss".

Der Beteiligte Ziff.1 ist der für die Beteiligte zu 2 - nachfolgend: die Arbeitgeberin - gebildete Betriebsrat - nachfolgend: der Betriebsrat -. Die Arbeitgeberin beschäftigt insgesamt 156 Arbeitnehmer*innen. Darunter befinden sich 107 Redakteur*innen sowie neun Redaktionsvolontär*innen. Gegenstand des Unternehmens der Arbeitgeberin ist die Erstellung der redaktionellen Inhalte von Tageszeitungen, insbesondere des "B." sowie weiterer Printprodukte. Sie ist im Jahr 2010 als Tochtergesellschaft aus der B. Mediengesellschaft mbH, ihre Muttergesellschaft, hervorgegangen, in deren "Verlag" der "B." ausweislich des Impressums erscheint. Verleger des "B." ist hingegen Herr R. und Herausgeber sind die Erben der Verlegerfamilie B1. Im Impressum des "B." sind der Chefredakteur und die Ressortleiter der Arbeitgeberin als verantwortliche Redakteure im Sinne des Landespressegesetzes genannt.

Der Betriebsrat beschloss in seiner Sitzung vom 4. Februar 2020, einen Wirtschaftsausschuss nach § 106 BetrVG mit vier Mitgliedern zu bilden und bestellte diese auch. Der Wirtschaftsausschuss forderte am selben Tag Informationen und Unterlagen nach § 106 Abs. 3 BetrVG an (vgl. im Einzelnen Anlage AS 1, S. 6 ff. der erstinstanzlichen Akte). Die Arbeitgeberin berief sich auf Tendenzschutz und verweigerte die Herausgabe von Unterlagen mit Schreiben vom 11. März 2020 (vgl. Anlage AG 1, S. 38 f. der erstinstanzlichen Akte).

Am 17. März 2020 beschloss der Betriebsrat, "wegen der verweigerten Unterrichtung einschließlich zugehöriger Unterlagen an den Wirtschaftsausschuss (§§ 106, 109 BetrVG), den Arbeitgeber kurzfristig zu Verhandlungen aufzufordern und im Verweigerungsfall die Verhandlungen für gescheitert zu erklären und die Einigungsstelle anzurufen." Er teilte dies der Arbeitgeberin am selben Tag mit. Zur Einsetzung einer Einigungsstelle kam es nicht, weil die Arbeitgeberin die Einigungsstelle als offensichtlich unzuständig ansah.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, der Arbeitgeberin stünde Tendenzschutz nicht zu. Journalistische Arbeitsergebnisse würden nur noch bei Dritten, in erheblichem Umfang auch außerhalb des Konzerns, zugeliefert. Inhalte seien mit Konkurrenten austauschbar geworden und würden auch längst ausgetauscht, etwa mit dem S. im Bereich südlicher Schwarzwald auf der Ebene der Lokalredaktionen. Die Verlagseigenschaft werde von Arbeitgeberseite ausdrücklich abgelehnt. Eine eigene Zeitung in diesem Sinne liege nicht mehr vor. Zudem sei die Leitung im Hause gar nicht befugt, Entscheidungen im Hinblick auf eine geistig-ideelle Ausrichtung oder operative Grundlagen zu treffen. So seien etwa aktuell die Verhandlungen über die Einführung von Kurzarbeit auf Arbeitgeberseite maßgeblich von der Geschäftsführung der Muttergesellschaft geführt worden; die örtliche Geschäftsführung habe im Hinblick auf eine Tendenz buchstäblich nichts mehr zu sagen. Im Zuge der Digitalisierung würden im Konzern Unternehmen mit anderen Unternehmenszwecken außerhalb jeder Tendenz ("Meditation", "Achtsamkeit") zugekauft, die den Schwerpunkt noch weitergehend verlagerten. Dies werde von Unternehmensseite auch ausdrücklich als Diversifizierung bezeichnet. Die überörtliche sowie überregionale Berichterstattung werde zugleich zunehmend außerhalb der Redaktionsgesellschaft zentralisiert (Anlagen AS 1 bis AS 3, S. 10 ff. der der erstinstanzlichen Akte). Zudem sei die weite Auslegung des Begriffs "Tendenz" durch die Rechtsprechung unionsrechtlich im Hinblick auf die Zielsetzung des Artikels 4 Abs. 2, 4 RL 2002/14/EG nicht zu rechtfertigen. Auch wenn für diese grundsätzlich der nationale Gesetzgeber zuständig sei, sei von der Rechtsprechung auf die fehlende Umsetzung zu reagieren. Der Begriff der Tendenz sei teleologisch zu reduzieren.

Der Betriebsrat hat beantragt:

  1. Der Vorsitzende Richter am Landesar...

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