Entscheidungsstichwort (Thema)
Offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle bei bereits vollzogener Stilllegung eines Betriebsteils. Maßgeblichkeit der Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG für die Zuständigkeit der Einigungsstelle für einen Sozialplan wegen Stilllegung eines Betriebsteils. Keine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle bei möglicher Spaltung in Verbindung mit einem Betriebsteilübergang
Leitsatz (amtlich)
1. Die nach § 112 Abs. 2 BetrVG für den Versuch eines Interessenausgleichs einzusetzende Einigungsstelle ist offensichtlich unzuständig (§ 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG), wenn der Unternehmer eine Einschränkung oder Stilllegung eines Betriebsteils durch den Ausspruch von Kündigungen bereits durchgeführt hat; er hat damit vollendete Tatsachen geschaffen, die er nicht mehr einseitig rückgängig machen kann.
2. Die für den Abschluss eines Sozialplans nach den §§ 112 Abs. 2, Abs. 4 i.V. mit 111 BetrVG einzusetzende Einigungsstelle ist offensichtlich unzuständig, wenn von der Stilllegung (§ 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG) kein wesentlicher Betriebsteil betroffen ist. Das richtet sich bei einem Personalabbau danach, ob hinsichtlich des Betriebsteils die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG erreicht werden.
3. Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle liegt auch dann vor, wenn ein in diesem Sinne wesentlicher Betriebsteil nicht stillgelegt, sondern nur eingeschränkt wird und der Personalabbau selbst die Zahlengrößen des § 17 Abs. 1 KSchG bezogen auf den Betrieb nicht erreicht.
4. Ein Fall der offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle liegt aber nicht vor, wenn der Unternehmer ursprünglich beabsichtigte, den Betriebsteil auf ein anderes Unternehmen zu übertragen, wodurch die Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung und zu unveränderten Arbeitsbedingungen übergehen sollten, er sich dann aber entschließt, sämtliche Arbeitsverhältnisse insbesondere durch Kündigungen zu beenden und das andere Unternehmen den betroffenen Arbeitskräften neue Arbeitsverträge anbietet. Nimmt ein nach Zahl- und Sachkunde wesentlicher Teil des Personals das Vertragsangebot an, kann jedenfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen werden, dass eine Spaltung in Verbindung mit einem Betriebsteilübergang vorliegt (§ 111 Satz 3 Alternative 2 BetrVG).
Normenkette
ArbGG § 100 Abs. 1; BetrVG § 76 Abs. 2 Sätze 2-3, §§ 111-112; KSchG § 17 Abs. 1 Nr. 2; BetrVG §§ 1, 102
Verfahrensgang
ArbG Heilbronn (Entscheidung vom 05.01.2022; Aktenzeichen 3 BV 13/21) |
Tenor
- Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2. (Arbeitgeberin) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 5. Januar 2022 - 3 BV 13/21 - abgeändert, soweit er das Thema Interessenausgleich betrifft. Insofern wird der Antrag des Betriebsrats abgewiesen.
- Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
A
Der antragstellende Betriebsrat begehrt die Einsetzung einer Einigungsstelle wegen eines Interessenausgleichs und Sozialplans, die die Beteiligte zu 2. (i.F. Arbeitgeberin) für offensichtlich unzuständig hält.
Die Arbeitgeberin ist Teil einer internationalen Unternehmensgruppe und befasst sich schwerpunktmäßig mit der Produktion und dem Verkauf von semipermanenten Hallen, Veranstaltungs- und Industriezelten. Sie unterhält zwei Standorte an ihrem Sitz in F. und in M. bei B. mit insgesamt 166 Arbeitskräften. Der Betriebsrat ist für beide Standorte zuständig.
Neben dem Verkauf befasst sich die Arbeitgeberin auch mit der kurz- und längerfristigen Vermietung von Zelten und semipermanenten Bauten, intern als "Rental" bezeichnet.
Insofern entschied die Arbeitgeberin im Jahr 2019, den Kundenstamm bezogen auf sämtliche Vermietungsaktivitäten - bis auf laufende Dauermietverhältnisse - auf die Konzernzugehörige L. (i.F. L. Zeltverleih) zu übertragen. Am 27. August 2020 schlossen die Beteiligten einen Interessenausgleich und Sozialplan, der sich auch auf Mitarbeiter im Bereich Rental erstreckte (Anlagen BK1, BK 2 = Bl. 57ff., 60ff).
Bereits im Jahr 2020 wechselten der für die sog. Richtmeister zuständige Disponent sowie zwei Vertriebsassistenzkräfte zur L. Zeltverleih. Außerdem unterhält die Arbeitgeberin Lagerstätten für die für die Vermietung erforderlichen Gegenstände/Sachmittel. Die Lagerstätten werden von der Arbeitgeberin mit zwei Lageristen in M. und deren 14 in F. weiter betrieben; der Inhalt wurde auf die D. BV (i.F. D. Logistics) übertragen.
Zuletzt waren bei der Arbeitgeberin im Zusammenhang mit der Vermietung - ohne Lagerkräfte - an beiden Standorten noch folgende Arbeitskräfte tätig:
Neun Richtmeister, die auf Anforderung der L. Zeltverleih Zelte und sonstige Bauten beim jeweiligen Kunden errichten; ein Niederlassungsleiter (M.); zwei Vertriebsmitarbeiter ("Account Manager"); vier Arbeitskräfte, davon eine längerfristig erkrankt, die noch laufende Dauermietverhältnisse betreuen.
Unter dem 20. Mai 2021 wandten sich die L. Zeltverleih und die Arbeitgeberin an die jeweilige Belegschaft unter dem Betreff "Anstehende Betriebsänderung in der Abteilung "Rental" - Übergang auf...