Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenvertretung. Wahl. Anfechtung. Betriebsbegriff
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Anwendbarkeit des vereinfachten Wahlverfahrens bei der Wahl der Schwerbehindertenvertreter setzt voraus, dass die betrieblichen Verhältnisse und die im Betrieb ablaufenden Meinungsbildungsprozesse für die einzelnen Arbeitnehmer noch überschaubar sind und dadurch eine demokratische Kontrolle des Wahlgeschehens möglich ist.
3. Die Rechtsfolgen des § 18 SchwbVWO hängen nicht davon ab, zu welchem Zeitpunkt wie viele schwerbehinderte Menschen in welchen Betriebsteilen zufälligerweise eingesetzt werden.
Normenkette
BetrVG §§ 3-4, 19; SGB IX § 94 Abs. 6 S. 3; SchwbVWO § 18
Verfahrensgang
ArbG Heilbronn (Beschluss vom 31.10.2002; Aktenzeichen 5 BV 1/02) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Beschwerde der Beteiligten Ziffer 2/Antragsgegnerin gegen denBeschluss des Arbeitsgerichts Heilbronn vom31.10.2002 – Az.: 5 BV 1/02 – wird hiermit zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird für die Beteiligte Ziffer 2 zugelassen.
3. Diese Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Wahl der Schwerbehindertenvertretung gemäß § 94 Abs. 6 SGB IX in Verbindung mit § 18 SchwbVWO in den Verkaufsstellen des antragstellenden Beteiligten Ziffer 1 in der Region ….
Der Beteiligte Ziffer 1 betreibt in der gesamten Bundesrepublik eine Vielzahl von Verkaufsstellen und Filialen. Durch Tarifvertrag vereinbarte er mit der vormaligen Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, dass die Verkaufsstellen, welche sich in der Region … befinden (und deren räumliche Lage sich aus der Landkarte der arbeitsgerichtlichen Akte Bl. 143 ersehen lässt), einen einheitlichen Betrieb bilden.
Am 06.02.2002 fand eine Wahl im vereinfachten Wahlverfahren zur Wahl einer Schwerbehindertenvertretung statt. Gewählt wurde Frau …, als ihre Stellvertreterin Frau …, die zugleich Betriebsratsmitglied ist. Das Wahlergebnis wurde am Samstag, den 09.02.2002, bekannt gemacht. Am Montag, den 25.02.2002, ging ein Wahlanfechtungsschreiben des Beteiligten Ziffer 1 per Telefax beim Arbeitsgericht Heilbronn ein.
Der Antragsteller hat unter anderem geltend gemacht, die im vereinfachten Wahlverfahren durchgeführte Wahl sei wegen Verstoßes gegen wesentliche Wahlvorschriften unwirksam. Die Voraussetzungen der §§ 18 ff. SchwbVWO hätten nicht vorgelegen, auch seien weitere wesentliche Wahlbestimmungen verletzt worden.
Der Beteiligte Ziffer 1 hat in erster Instanz beantragt festzustellen, dass die Wahl der Schwerbehindertenvertretung vom 06.02.2002 unwirksam ist.
Die Beteiligte Ziffer 2 und Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass sämtliche Wahlvorschriften beachtet worden seien und Kopien von Schriftstücken vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass der Betriebsrat im Betrieb des Bezirkes … des Beteiligten Ziffer 1 am 31.01.2002 beschlossen hatte, die Wahl der Schwerbehindertenvertretung in diesem Betrieb gemäß §§ 18 ff. SchwbVWO am 06.02.2002 durchzuführen und zu einer Wahlversammlung um 18.30 Uhr in den Räumen des Betriebsrates in … einzuladen, dass an der Wahlversammlung insgesamt sieben wahlberechtigte schwerbehinderte Menschen, als Vertreter des Betriebsrates Frau … und Frau … sowie die Gewerkschaftssekretärin … teilgenommen hatten und als Schwerbehindertenvertreterin Frau … mit drei zu zwei Stimmen und als ihre Stellvertreterin Frau … mit 5 zu 1 Stimmen gewählt worden ist.
Das Arbeitsgericht hat unter anderem eine Auskunft seitens der Deutschen Bahn AG über die Verkehrsverbindungen zwischen den Verkaufsstellen … und … eingeholt und mit Beschluss vom 31.10.2002 die Wahl der Schwerbehindertenvertretung für den Bezirk … vom 06.02.2002 für unwirksam erklärt. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, bei der Durchführung der vereinfachten Wahl sei gegen wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens mangels Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen hierfür verstoßen worden. § 18 SchwbVWO verlange für die Durchführung des vereinfachten Wahlverfahrens, dass der Betrieb nicht aus räumlich weit auseinanderliegenden Teilen bestehe, was vorliegend nicht der Fall gewesen sei. Die einzelnen Verkaufsstellen des Bezirks … lägen weit voneinander entfernt. Der Begriff der räumlich weiten Entfernung, der sich auch in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG finde, sei so auszulegen, dass nicht allein die kilometermäßige Entfernung maßgeblich sei. Vielmehr müssten Umstände gegeben sein, die dazu führten, die Belegschaft als Einheit mit eigenem Leben anzusehen. Ausschlaggebend seien die tatsächlichen Lebensverhältnisse, insbesondere die Verkehrsmöglichkeiten und die Gewährleistung der Zusammenarbeit der Arbeitnehmer mit dem Betriebsrat. Sowohl die Leichtigkeit der Verkehrsverbindungen als auch deren Qualität und Dichte spielten eine Rolle. Auch gute Verkehrsverbindungen schlössen eine „räumlich weite” Entfernung nicht...