Entscheidungsstichwort (Thema)

zeitliche Grenzen der Rechtskraft bei Entscheidung über die Gewerkschaftseigenschaft eines Verbandes

 

Leitsatz (amtlich)

Auch die materielle Rechtskraft eines Beschlusses nach § 97 ArbGG betreffend die Feststellung, dass eine Vereinigung von Arbeitnehmern „eine Gewerkschaft im arbeitsrechtlichen Sinne” sei, unterliegt zeitlichen Grenzen, wenn sich der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt wesentlich geändert hat.

Diese Voraussetzungen liegen aber nicht bereits deshalb vor, weil dieser Beschluss sich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den Grenzen des Jahres 1972 bezieht und sich seither der Geltungsbereich des Arbeitsrechts der Bundesrepublik Deutschland auf die neuen Bundesländer erweitert hat.

Dies gilt auch dann, wenn eine neue Entscheidung über diese Frage mit der Begründung begehrt wird, die Tariffähigkeit dieser Vereinigung werde für ein Tarifgebiet in den neuen Bundesländern in Zweifel gezogen, wenn die rechtskräftige Entscheidung damit begründet wurde, dass die Gewerkschaftseigenschaft nur einheitlich für das gesamte (damalige) Bundesgebiet festgestellt werden kann, auch wenn die fehlende „sozialpolitische Bedeutung” in einzelnen Regionen oder Betrieben dort nicht den Abschluss von Tarifverträgen erlaubt.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3; ArbGG §§ 97, 87 Abs. 2; ZPO § 322 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Beschluss vom 19.02.1998; Aktenzeichen 15 BV 250)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 29.04.1999; Aktenzeichen 2 ABN 2/99)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Christlichen Gewerkschaft Metall (Bet. zu 2) wird derZwischenbeschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom19. Februar 1998 – 15 BV 250/96 – abgeändert:

Der Hauptantrag der Industriegewerkschaft Metall (Bet zu 1) vom 21.11.1996 wird abgewiesen.

 

Tatbestand

I. Gegenstand des vorliegenden und im zweiten Rechtszug angefallenen Verfahrens ist ausschließlich die Frage, ob dem auf die Feststellung, die Beschwerdeführerin sei keine Gewerkschaft „im arbeitsrechtlichen Sinne”, gerichteten (Haupt-)Antrag die Einrede der Rechtskraft der Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 4. Februar 1972 (6 BV 3/71 – EzA Art. 9 GG Nr. 9 m. abl. Anmerkung von Badura) entgegensteht

Wegen des Sachverhalts, der Darlegungen der Beteiligten, der erstinstanzlichen Anträge und der erstinstanzlichen Entscheidung wird auf den mit der Beschwerde der Beteiligten zu 2 angegriffenen Zwischenbeschluss des Arbeitsgerichts vom 19. Februar 1998 (Bl. 782 bis 802 d.A.), mit dem der Hauptantrag für zulässig erklärt worden ist, verwiesen.

Mit der Beschwerde verfolgt die Beteiligte zu 2 ihr Ziel der Abweisung dieses Antrags als unzulässig weiter. Wegen der Darlegungen der Beteiligten im zweiten Rechtszug sowie ihrer Anträge wird auf die Beschwerdebegründungsschrift vom 15.05.1998 (Bl. 832–861 d.A.), den die Beschwerde unterstützenden Schriftsatz der Beteiligten zu 3 und 10 vom 14.05.1998 (Bl. 873–877 d.A.), die Beschwerdeerwiderung vom 07. August 1998 (Bl 881–889) sowie den weiteren Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 23.10.98 (Bl. 909 bis 918 d.A.) Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die an sich statthafte Beschwerde der Beteiligten zu 2 ist zulässig und auch in der Sache gerechtfertigt. Das Arbeitsgericht hat zu Unrecht den Antrag des Beteiligten zu 1 für zulässig erachtet. Er ist nämlich unzulässig, weil der Antrag auf das kontradiktorische Gegenteil der rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 4. Februar 1972 – 6 BV 3/71 – und damit auf den dort entschiedenen Streitgegenstand gerichtet ist. Dem hier angefallenen Antrag steht die Einrede der Rechtskraft entgegen, so dass er als unzulässig abzuweisen ist.

1. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nur die Zulässigkeit des Hauptantrags des Beteiligten zu 1. Soweit der Beteiligte zu 2 in der Beschwerdebegründung die Zurückweisung der „Anträge” des Beteiligten zu 1 anstrebte, wurde im Anhörungstermin klargestellt, dass sich dies nur auf den hier angefallenen Hauptantrag des Beteiligten zu 1 bezieht.

2. Auch Beschlüsse im Beschlussverfahren, auch solche nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG, sind der materiellen Rechtskraft fähig (vgl. z. B. BAG, Beschluss vom 1. Februar 1983 – 1 ABR 33/78 – AP Nr. 14 zu § 322 ZPO, B II 1 der Gründe). Das Bundesarbeitsgericht hat die Auffassung vertreten, dass Anträge, denen die materielle Rechtskraft einer Entscheidung entgegensteht, auch dann unzulässig sind, wenn die begehrte Neuentscheidung damit begründet wird, die Sach- oder Rechtslage habe sich wesentlich geändert (a.A. – ein solcher Antrag sei unbegründet – Leipold in der Anmerkung zu dieser Entscheidung; vgl. auch Stein-Jonas-Leipold, ZPO 20. Aufl., § 322 Rz. 255 m.w.Nw.; wäre dieser Meinung zu folgen, hätte die Beschwerde zurückgewiesen werden können, ohne dass es auf die Frage angekommen wäre, ob der Antrag auf eine res iudicata gerichtet ist, weil dann der Antrag unbegründet wäre). Dieser Auffassung wird gefolgt, so dass es für das vorliegende Verfahren darauf ankommt, ob die Rechtskraft ...

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