Entscheidungsstichwort (Thema)
Beteiligtenfähigkeit im Beschlussverfahren nach § 100 ArbGG. Keine Ergänzung der Tagesordnung zur konstituierenden Sitzung des Konzernbetriebsrats. Zusätzliche weitere Einladung zur Beschlussfassung über eine Ergänzung der Tagesordnung des Konzernbetriebsrats. Sachgerechte Sitzungsvorbereitung durch Einladung mit Tagesordnung gem. § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG. Heilung einer fehlerhaften Ladung zu einer Betriebsratssitzung
Leitsatz (amtlich)
1. Im Bestellungsverfahren gem. § 100 ArbGG sind nur die streitenden Betriebspartner zu beteiligen und nicht auch Gremien, die für das streitige Mitbestimmungsrecht ebenfalls zuständig sein könnten. Es ist dabei unerheblich, ob der Zuständigkeitskonflikt zwischen Betriebsratsgremien unterschiedlicher hierarchischer Ebenen besteht oder auf derselben hierarchischen Ebene zwischen zwei konkurrierenden und die Existenz des jeweils anderen bestreitenden Gremien.
2. Ist die rechtliche Existenz und somit die Beteiligtenfähigkeit eines Beteiligten im Streit, ist dessen Beteiligtenfähigkeit hinsichtlich der Zulässigkeit des Rechtsmittels zu unterstellen und zwar auch in Verfahren, deren Gegenstand nicht (primär) die Existenz der rechtsmittelführenden Stelle ist.
3. Der Vorsitzende eines Gesamtbetriebsrats ist nicht befugt, der Einladung zur konstituierenden Sitzung eines Konzernbetriebsrats einen Tagesordnungspunkt hinzuzufügen, über den erst in einer "weiteren Sitzung" iSd. § 29 Abs. 2 Satz 1 BetrVG befunden werden könnte. Die Tagesordnung kann auch in der konstituierenden Sitzung nicht einstimmig um einen weiteren Tagesordnungspunkt ergänzt werden, wenn zur konstituierenden Sitzung nicht alle (möglichen) Delegierten erschienen sind. Die Beschlussfassung über einen solchen weiteren Tagesordnungspunkt bedürfte nämlich einer weiteren vorherigen Einladung des nunmehr frisch gewählten Vorsitzenden des Konzernbetriebsrats.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Vorschrift des § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG dient mittelbar der Willensbildung des Betriebsrats, indem sie dem einzelnen Betriebsratsmitglied eine sachgerechte Sitzungsvorbereitung ermöglichen und ihn vor unbedachten und unvorbereiteten Entscheidungen schützen soll.
2. Eine mangels Übermittlung der Tagesordnung i.S.d. § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG verfahrensfehlerhafte Ladung zu einer Betriebsratssitzung kann durch die ordnungsgemäß geladenen Mitglieder und Ersatzmitglieder des Betriebsrats in der Betriebsratssitzung geheilt werden, wenn der Betriebsrat beschlussfähig i.S.d. § 33 Abs. 2 BetrVG ist und die Anwesenden einstimmig beschließen, über einen Regelungsgegenstand zu beraten und abzustimmen.
Normenkette
ArbGG §§ 100, 10; BetrVG §§ 29, 47, 59, 33 Abs. 2; ZPO §§ 87-88
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 29.06.2023; Aktenzeichen 18 BV 95/23) |
Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2023 (18 BV 95/23) wird als unzulässig verworfen.
Gründe
I.
Der Antragsteller und Beteiligte zu 1 begehrt die Bestellung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Abschluss einer Konzernbetriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung des Zeiterfassungssystems ATOSS".
Die Beteiligte zu 2 ist ein weltweit führender Anbieter von Prozess- und Verpackungstechnik. Sie unterhält zwei Betriebe. In ihrer Zentrale in W. beschäftigt sie ca. 800 Arbeitnehmer. Im Betrieb C. beschäftigt sie ca. 1.200 Arbeitnehmer. In beiden Betrieben ist ein Betriebsrat gebildet.
Zur S.-Gruppe gehören noch weitere fünf Unternehmen, die an unterschiedlichen Standorten jeweils einen Betrieb vorhalten, für die ebenfalls jeweils ein Betriebsrat gebildet ist. Die Beteiligte zu 2 hält sämtliche Geschäftsanteile dieser Tochterunternehmen.
Am 31. Oktober 2019 wurde noch zwischen der Rechtsvorgängerin der Beteiligten zu 2 (R. B. P. T. GmbH) und der Gewerkschaft IG Metall ein "Tarifvertrag nach § 3 BetrVG über die Betriebsratsstrukturen bei der zukünftigen S.-Gruppe" (nachfolgend: TV Betriebsratsstrukturen) abgeschlossen, mit welchem andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen eingeführt werden sollten. Es wurde vereinbart, dass ein unternehmensübergreifender Gesamtbetriebsrat auf Konzernebene errichtet werden solle. Die Wirksamkeit dieses TV Betriebsratsstrukturen ist zwischen den Beteiligten im Streit.
Auf der Grundlage dieses TV Betriebsratsstrukturen wurde ein unternehmensübergreifender Gesamtbetriebsrat gebildet, der erstinstanzlich noch als Beteiligter zu 3 (nachfolgend: vormaliger Beteiligter zu 3) am Verfahren beteiligt wurde. Zwischen diesem vormaligen Beteiligten zu 3 und der Beteiligten zu 2 wurden mittlerweile über 50 Gesamtbetriebsvereinbarungen abgeschlossen.
Der Betriebsrat des Betriebs C. vertritt die Auffassung, dass der vormalige Beteiligte zu 3 mangels wirksamer tariflicher Grundlage nicht wirksam gebildet wurde und deshalb rechtlich nicht existent sei. Vor diesem Hintergrund forderte dessen Vorsitzender Herr v. B. den Vorsitzenden des Betriebsrats des Zentralbetriebs W., Herrn I., mit...